Sister Sox
Mensch aufführen darfst. Jedenfalls so lange ich im Zimmer bin.
32
Am anderen Morgen erwachte ich früh mit einem Brummschädel. Kein Wunder, der Kopf hatte gestern einiges abgekriegt. Ich besah mich im Spiegel. Diese lädierte Fresse zu rasieren, hatte keinen Zweck, schon gar keinen kosmetischen. Also stellte ich mich unter die Dusche, zuerst warm, dann immer kälter. Das ist moralhygienisch wertvoll, und man beginnt den Tag als guter Mensch. Inzwischen war es halb sieben geworden. Hinnerk schlief noch, die Jungen sowieso. Ich taperte leise die Treppe hinunter, um niemand zu wecken. Das ging gut. Aber in dem dunklen Gang, in dem es kein Licht gibt, stieß ich dann doch gegen einen großen Sack mit Flaschen. Hinnerk war ein netter Mensch, aber in so einer Siffbude konnte nur ein Messie wie er leben. Was hatte ich schon mit ihm herumdiskutiert, es war sinnlos, er hatte für jeden am Boden liegenden Dreckklumpen ein Argument. Natürlich auch dafür, dass der ganze Küchenboden mit Sonnenblumenkernen übersät war. Wahrscheinlich musste man beim Brotschneiden Dreh- und Schlenkerbewegungen machen, um das so flächendeckend hinzukriegen.
Wie sich ein Mann in einen solchen Wahnsinn hineinarbeiten konnte, war mir vollkommen klar, man ist ja selber einer. Bei Hinnerk ging das so: Er stellte seine Sporttasche immer auf einen Karton neben der Haustür, schließlich brauchte er sie ständig. Dort hatte er sie sofort wieder zur Hand. In dem Karton befand sich eine Niedervolt-Lichtanlage, die er gelegentlich einmal im Gang montieren wollte, allerdings fehlte eine Steckverbindung, was er eigentlich schon längst reklamieren wollte. Deshalb also war der Karton direkt neben der Haustür, damit er die ganze Angelegenheit nicht vergaß. Am Karton lehnten die zwei großen Beutel mit leeren Flaschen, die sicher einen unguten Nachbarn wie Plattner misstrauisch werden ließen und ihn womöglich zu dem verleumderischen Tratsch verführten, dass der Rab nebenan schon längst zum Alkoholiker geworden sei. Hinnerk meinte, es sei geschickter, sie abends einmal zum Container zu bringen, wenn er ohnehin daran vorbeikam, auf dem Weg zu einem Bekannten, der im Moment allerdings verreist war. Die Abwesenheit des Bekannten war ohnehin ein Glücksfall,denn wenn er wieder zurückkam, gab es ein Problem: Der Flur war so dunkel, dass man nur mit größtem Aufwand hätte feststellen können, ob sich unter dem Kleiderbuckel, der sich an der Garderobe aufwölbte, noch die Lodenjacke befand, die der Bekannte wahrscheinlich dort vergessen hatte. Handlungsdruck bestand Gott sei Dank! jedoch nicht, weil er ja verreist war. Seit Wochen konnte Hinnerk schon nicht mehr die braunen Wildlederschuhe tragen, weil das Drahtbürstchen zum Säubern im Schuhschrank begraben lag. Ein Regal war heruntergebrochen, im Prinzip eine Kleinigkeit, es musste nur ein herausgesprungener Stift in die Bohrung zurückgesteckt werden, um das Regalbrett, das neben dem Schrank angelehnt war, wieder zu fixieren. Den aber fand er in seinem dunklen Haus nicht. Deshalb musste er gelegentlich wirklich mal die Niedervolt-Anlage installieren! Auch den Boden hätte er wieder einmal fegen und wischen müssen, zumal sich neulich Dreckklumpen von den Schuhsohlen gelöst hatten. Allerdings war Putzen im Moment sowieso ein vollkommen sinnloses Unterfangen, weil man ohne Licht gar nicht sah, ob es im Flur sauber oder schmutzig war.
Und das war jetzt nur Hinnerks Flur! Wenn man ihn zur Rede stellte, wurde ihm das Ganze unangenehm, und er fing an, das Problem in seine Teile zu zerlegen, um triumphierend festzustellen, dass letztlich alles logisch nachvollziehbar und begründbar war. Wäre also nur geblieben, die Sache grundsätzlich und nicht pragmatisch anzupacken. Hier erwies sich jedoch, dass er im Moment definitiv Wichtigeres zu tun hatte, weswegen das unangenehme Gefühl genau so schnellwieder verschwand, wie es über ihn gekommen war. Wenn man Hinnerk besuchte, war sein Standardsatz: Hier müsse mal wieder aufgeräumt werden.
Ich fischte mir aus Hinnerks Spüle die Espressomaschine heraus, säuberte sie und machte mir ein Kännchen. Mit einer Tasse und zwei Schnitten Sonnenblumenbrot stellte ich es auf ein Tablett und ging außen um das Haus herum, um nicht in dem dunklen Gang auf die Schnauze zu fallen. Schließlich setzte ich mich auf die Terrasse und frühstückte. Gegen halb acht tauchte Hinnerk auf. Er gähnte, streckte und räkelte sich.
– Wie geht es jetzt weiter, fragte er.
Er
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