Sister Sox
Sicher ist nur, dass ich ziemlich losheizte, weil ich ein ungutes Gefühl im Rücken hatte. Je mehr Abstand ich zwischen Euroindustriepark und mich legte, desto besser wurde es. Zudem war eine Autobahnfahrt für einen, dem so viel durch den Kopf ging wie mir, genau das Richtige. Betrachtete man die ganze Geschichte unvoreingenommen und ruhig, dann ordnete sich eine Menge wie von selbst. Bereits hinter der Raststätte Fürholzen hatte sich alles so weit abgesetzt, dass ich wusste, was nun zu tun war. Am nächsten Parkplatz machte ich Halt.
30
In aller Ruhe rollte ich mir zwei Zigaretten. Eine steckte ich sofort an und beguckte mich im Spiegel. Der Striemen im Gesicht war rot erblüht, das übliche zwetschgenblaue Farbspiel würde in den nächsten Tagen aufziehen, um schließlich in fleckiges Orangebraun überzugehen. Auch sonst war noch einiges aus dem Lot: Meine linke Gesichtshälfte war so gefühllos, als hätten sie mir die Botoxdosis eines ganzen Frauenstammtischs injiziert. Und meine Lippen waren geschwollen wie die Tapirschnauze einer aufgespritzten Charitylady. Das sah verdammt schlecht aus. Beschissen sogar. Hinten klopfte es, die beiden wollten aussteigen.
– Moment! schrie ich.
Diese fünf Minuten gehörten ganz allein mir, ich hatte mirfür diese Maden da den Arsch weit genug aufgerissen. Schließlich stieg ich aus und öffnete die Hecktür. Carmello war ganz bleich, er wusste offenbar, was ihm drohte. Er betastete seine Kopfwunde, um Mitleid zu schinden.
– Vertritt dir ein bisschen die Beine, sagte ich zu Olga. Wir haben was unter Männern zu klären.
Olga schaute mich erschrocken an. Wahrscheinlich befürchtete sie, dass neuer Stress begann. Allerdings!
– Na mach schon!
Olga hüpfte aus dem Wagen und spazierte ins Dunkle.
– Also, Freund, raus mit dir!
Carmello schlich hinter mir her zum Rastplatz, wo ein Tisch und Bänke aufgestellt waren.
– Setz dich.
Carmello nahm Platz. Was mich von vorneherein in Rage brachte, war, dass er abwartete. Statt einmal von sich aus mit seiner Geschichte rüberzukommen.
– Ich höre, sagte ich.
Er zuckte die Achseln. Aber jetzt war Schluss. Für wie blöd hielt er mich eigentlich? Meine Reaktion war schnell und für ihn unerwartet. Ich verpasste ihm zwei Ohrfeigen.
– Wie lange, glaubst du, kannst du mich noch verscheißern?
Trotzig, mit roten Ohren saß er da. Dann kamen ihm die Tränen, aber das gehörte vielleicht auch wieder zum Spiel.
– Also Dimauro. Dein Vater ist offenbar Mitglied eines, sagen wir: kalabresischen Kulturvereins. Ich dachte, so einen kann man um einen Gefallen bitten, wenn man das nötig hat oder gar in der Bredouille sitzt. Stattdessen haust du vordeinen eigenen Leuten ab. Das erklärst du mir. Je nach dem, wie deine Geschichte ausfällt, überlege ich mir, ob du mit mir weiterfährst oder ob du hier auf diesem Parkplatz bleibst. Okay?
Ich zündete meine zweite Zigarette an. Rauchen war gut, denn die Geschichte, die mir Carmello servierte, war so haarsträubend, dass man sie sonst nur mit aufgerissenem Mund hätte anhören können. Er war in der Tat vor den eigenen Leuten abgehauen. Die Vereinssektion München, oder wie man sie nennen sollte, arbeitete hundertprozentig legal. Das war das Geschäftsprinzip. Wahrscheinlich musste schmutziges Geld gewaschen werden.
– Und ich habe dagegen verstoßen, dass bei uns alles strikt legal läuft. Weil ich Pia Drogen besorgt habe. Deswegen sind Dorst und Bungert hinter mir her. Ich hätte nie mit der Polizei aneinander geraten dürfen. Dadurch habe ich meinen Vater und die anderen in große Schwierigkeiten gebracht.
Carmello wagte nicht mehr, nach Hause zu gehen. Aus Angst vor der Strafe seiner Familie. Also trieb er sich vorzugsweise bei mir herum.
– Und jetzt erklärst du mir, wer die anderen sind. Zakow, Rattelhuber und Konsorten. Und warum eure Leute die jetzt platt machen.
– Wir nennen sie nur die Russen. Mit denen hat es früher schon öfter Ärger gegeben. Sie versuchen, sich immer mehr Bars und Lokale unter den Nagel zu reißen. Aber in letzter Zeit war alles ruhig, bis ihr Pornoserver geknackt wurde. Daraufhin wurde Mario erschossen, und der Laden flog in die Luft. Seither ist Krieg!
Du meine Güte! Ich hatte Julius angestiftet, in diesem Wespennest herumzustochern. Er hatte den Server von Marios Rechnern aus angegriffen. Die Geschichte war vollkommen aus dem Ruder gelaufen.
– Und wie kommt das, dass dich die Russen geschnappt haben?
Was Carmello erzählte,
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