Sister Sox
vom Frauenbund. Sie warten schon. Wir freuen uns alle sehr, dass uns jemand erzählt, wie es im Vatikan zugeht.
Wir hatten die Klosterpforte erreicht und gingen hinein. Eine Gruppe von Pennern hatte sich gesammelt und wartete auf die tägliche warme Mahlzeit, die dort ausgegeben wurde. Ihre Bierflaschen und Wein-Tetrapaks hatten sie drüben auf den Friedhofsbänken gelassen. Das kam hier gar nicht gut. Sie setzten alle rot entzündete Büßermienen auf und strichen ihre schwartigen Klamotten glatt, als sie mich sahen. Eine rundliche Person vom Typ Pfarrersköchin kam auf uns zu und wischte sich ihre Hände an der Schürze ab.
– Pater Tassilo, nicht wahr?
Wir schüttelten uns die Hände.
– Haben Sie schon gegessen?
Im Hintergrund wurde an großen Bottichen herumgefuhrwerkt. Vor zehn Minuten hatte ich noch glänzende Aussichten auf einen feinen Teller Pasta gehabt. Aber das sah aus wie Bayerisch Stew. Mit Schweinebauch statt Hammel.
– Vergelt’s Gott, sagte ich daher, ich bin bereits ausreichend verköstigt worden.
Die Köchin legte erschrocken die Hand vor den Mund. Ich verstand nicht, warum meine harmlose Ablehnung eine so heftige Reaktion auslösen konnte. Bis ich aus dem Hintergrund eine scharfe Ansage hörte.
– Padre!
Ich drehte mich um und blickte, wie so oft in den letzten Tagen, in die Mündung eines Revolvers.
35
Letzte Gewissheiten brachen weg. Die Italiener waren durchgedreht und bedrohten nun auch den Klerus. Die Penner waren schlagartig abgehauen. Man konnte es ihnen nicht verdenken, wer will schon für eine warme Mahlzeit das Leben lassen. Die beiden Frauen standen erstarrt. Es war der Typ mit Hut, dem ich vorher ausgewichen war.
– Mitkommen, Padre.
Ich machte Anstalten, ihm zu folgen.
– Stopp, sagte er. Letzte Ölung. Instrumente.
Ich schaute ihn verständnislos an. Gott sei Dank wusste er nicht, dass ich angeblich aus Rom kam und perfekt italienisch sprach. Aber die Köchin hatte längst begriffen, worum es ging.
– Moment, sagte sie, bin gleich wieder da.
Sie verschwand und kam mit einem Lederfutteral zurück, das sich als ein priesterliches Rescue Pack entpuppen sollte. Eine zusammengefaltete Kleinstola, ein Döschen mit Öl und ein Etui mit Hostie. Beim Anblick dieser Utensilien, die an letzte Dinge rührten, an unser unvermeidliches Ende und das Jüngste Gericht, kamen dem rauen Gesellen die Tränen.
– Mitkommen bitte, sagte er bereits wesentlich moderater.
Ich folgte ihm, und er hieß mich in seinen Lancia mit getönten Scheiben einsteigen. Mit quietschenden Reifen legte er einen schwungvollen U-Turn hin und preschte die Thalkirchner Straße hinunter. Weit allerdings fuhren wir nicht. Bereits beim Hotel Apollonia in der Hans-Sachs-Straße waren wir am Ziel. Er führte mich hoch in ein gediegenes Zimmer, wo auf dem Bett ein Mann lag, so bleich wie die Bettwäsche, weil er offenbar viel Blut verloren hatte. Offenbar hatte er bei dem Scharmützel gestern Abend einiges abbekommen. Sein Brustkasten war verbunden, die Binden blutverklebt. Ich hätte es sinnvoller gefunden, einen Arzt zu rufen, aber ich stand nicht an, einem Mann mit geladenem Revolver Ratschläge zu erteilen.
– Mio compagno, sagte der Hutträger. Ölen.
In jedem Zweifelsfall darf der gute Katholik nottaufen.Dazu genügt ein Gefäß und etwas Wasser, um eine unschuldige Seele der Erbsünde zu entreißen. Warum also soll man nicht auch notölen dürfen? Das Ganze ging ziemlich schnell über die Bühne, denn der Mann hatte, seiner Beichte nach zu urteilen, außer den paar schlechten Menschen, die er umgelegt hatte, kaum etwas auf dem Kerbholz. Ich segnete, ölte und machte auch sonst alles in der guten Gewissheit, dass diese Zeremonie zu denen gehört, die man normalerweise nur wenige Male miterlebt und von der daher niemand so genau weiß, wie sie abläuft.
– War Beichte, sagte der Hutträger und deutete auf mich. Mistero. Schweigen für immer. Capito?
Ich nickte. Er steckte mir einen 500-Euro-Schein in die Kutte und schob mich nach draußen. Wie war das Leben doch schön, als ich wieder unten in der Hans-Sachs-Straße stand, atmend in rosigem Licht und so neuwertig wie zuvor. Im Grunde genommen war nichts weiter passiert, als dass ich ein klein wenig vom Weg abgekommen war. Ich unternahm einen zweiten Versuch, zu Sabatinos Osteria zu gelangen.
36
Schon in der Mitte der Hans-Sachs-Straße kam mir eine junge Frau entgegen, die mir ungefragt einen Euro zusteckte. Als Bettelmönch im
Weitere Kostenlose Bücher