Sisters of Misery
steile Treppe hinunterstieg, wurde die Luft immer kühler. Kleine Staub- und Schmutzpartikel drangen in ihre Nase. Unten angekommen blickte sie sich im spärlichen Schein der nackten Glühbirne, die von der niedrigen Kellerdecke hing, in dem gewölbeartigen Raum um. Er stand voller alter Möbel, Koffer und den hier untergestellten Ãberresten aus Rebeccas Laden. Ãberall stapelten sich Kisten und Kartons mit Gartenzubehör und Werkzeug und in einer Ecke entdeckte sie einen offen daliegenden Beutel mit Runensteinen und Kristallpendeln. Tess musste immer wieder hier heruntergekommen sein, um sich neue Steine zu holen und sie anschlieÃend wie Ostereier im ganzen Haus zu verstecken. Der Gedanke an ihre GroÃmutter lieà sie innerlich zusammenzucken. Eine alte Frau wie sie hätte nicht in einem kalten dunklen Keller herumwandern sollen, wo sie Gefahr lief, sich an all den herumliegenden Werkzeugen und scharfen Gegenständen zu verletzen.
Sie ging in die dunkelste Ecke des Kellers, strich mit den Fingern über die kalte, fleckige Backsteinwand und versuchte, sich die Begegnung zwischen ihrer Mutter und Cordelia hier unten vorzustellen. Es fiel ihr immer noch schwer, das alles
zu begreifen. Der Hass und die Feindseligkeit, die Abigail all die Jahre gegenüber Cordelia und Rebecca gehegt hatte; die Erkenntnis, dass Cordelia ihre Halbschwester war, das Ergebnis einer Affäre ihres Vaters mit der Schwester ihrer Mutter. Wenn man bedachte, wie unglaublich wichtig es Abigail immer gewesen war, den äuÃeren Schein zu wahren, um ihre hart erkämpfte gesellschaftliche Stellung in Hawthorne nicht zu gefährden, war es nicht weiter verwunderlich, dass sie am Ende die Beherrschung verloren hatte.
Dass sie Cordelia gegen die Wand gestoÃen hatte, war unverzeihlich. Aber Maddie wusste, dass ihre Mutter es bereits in dem Moment bereut hatte, als sie das Blut auf dem Gesicht ihrer Nichte sah.
Wenn Cordelia wirklich davongelaufen war - vor Wut auf Rebecca, dass sie sie all die Jahre belogen hatte, vor Wut auf Maddie, dass sie sie auf Misery Island so schändlich im Stich gelassen hatte, und vor Wut auf Finn oder Reed (wer auch immer der »wunderschöne Liebste« war) wegen des Babys, das vielleicht in ihrem Bauch heranwuchs -, dann würde sie ihnen vielleicht eines Tages verzeihen und zu ihnen zurückkehren und ihnen die Antworten geben, die sie alle so dringend brauchten.
Seufzend beschloss sie, wieder nach oben zu gehen, um die restlichen Sachen für ihren Umzug nach Maine fertig zu packen. Sie wollte gerade den Fuà auf die erste Stufe der Kellertreppe setzen, als sie sich aus einem seltsamen Gefühl heraus noch einmal umdrehte. Fast schon rechnete sie damit, Cordelia lächelnd und mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Boden sitzen zu sehen. Aber es war nur ein weiterer Runenstein, der dort lag, diesmal mit einem M beschriftet. Ãberrascht, dass sie nicht schon vorhin über den an dieser seltsamen Stelle platzierten Stein gestolpert war, hob sie ihn auf und fuhr mit dem Finger über den eingeritzten Buchstaben,
bevor sie ihn zu dem anderen in die Tasche steckte und nach oben ging.
Als sie im Flur stand, klopfte es leise an der Haustür. Sie drehte sich um und sah einen vertrauten Umriss durch das geriffelte Glas des Türfensters schimmern.
Reed.
Wütend riss sie die Tür auf, aber noch bevor sie den Mund aufmachen konnte, sagte Reed schnell: »Ich habe nie mit ihr geschlafen, mit Cordelia, meine ich. Aber es stimmt, dass ich ihr Geld gegeben habe.«
»Warum?«, fragte Maddie bestürzt. Hatte Cordelia sowohl Reed als auch Finn nur etwas vorgemacht, um mithilfe von ihrem Geld aus der Stadt abhauen zu können? War sie überhaupt jemals schwanger gewesen?
»Um zumindest halbwegs den Schaden wiedergutzumachen, den mein mieser kleiner Bruder angerichtet hatte. Er ⦠sie ⦠na ja, sie sagte, dass das Baby von ihm sei. Ich wollte Cordelia helfen, noch einmal von vorn anzufangen.«
»Du wusstest von all dem? Wann hat sie mit dir darüber gesprochen?« Sie war völlig verwirrt. Warum hätte Cordelia mit Trevor schlafen sollen? Und warum hat sie mir nichts davon erzählt?
»Kurz vor Halloween, während einer unserer Einzelstunden. Weil ich meinen Bruder schützen wollte, habe ich den Vorfall nicht angezeigt. Ich war ein solcher Idiot.«
»Vorfall? Welcher Vorfall?«
Er seufzte tief und fuhr sich mit
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