Sisters of Misery

träumten - man warf ihnen vor, die Männer ›verhext‹ und sie zu ›unreinen Gedanken‹ verleitet zu haben.«
    Â»Damals waren sie Hexen und heute nennt man sie Schlampen«, sagte Cordelia nachdenklich.
    Maddie nickte. »Nur dass Schlampen heutzutage nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden.«
    Die beiden Mädchen kicherten.
    Während sie sich ihren Weg über den verschlungenen, zugewachsenen Pfad durch den Wald bahnten, erzählte Maddie ihrer Cousine mehr über die Schwestern. Schon bald nach ihrem Einzug in das Städtchen waren die drei jungen Frauen für ihr unberechenbares Temperament bekannt geworden. Ihnen wurde immer häufiger nachgesagt, »hysterische Anfälle« zu haben - woran man damals eine Hexe zu erkennen glaubte. Die Leute fingen an zu reden, behaupteten, sie hätten »gespenstische Beweise« für die Hexenkünste der schönen Schwestern - ein einziger Blick von ihnen würde genügen, Milch gerinnen zu lassen, ein böses Wort von ihnen würde die gesamte Ernte verderben und sie könnten verheiratete Männer in ihren Träumen sogar zu ehebrecherischen Handlungen verleiten.
    Cordelia wäre vor lauter Lachen fast umgekippt, als sie das hörte.

    Eine unheimliche Stille lastete über dem Wald und Maddie wollte die Geschichte so schnell wie möglich zu Ende erzählen. Außerdem waren sie mittlerweile schon ziemlich spät dran, und sie wusste, dass Cordelia erst bereit sein würde, Potter’s Grove zu verlassen, wenn sie alle Einzelheiten gehört hatte. Also beschrieb sie, wie die Schwestern sich vor dem Hexenprozess in diesen Wald geflüchtet hatten und hofften, sich darin so lange verstecken zu können, bis die bösen Gerüchte sich gelegt hätten. Es gab nur wenige Freunde und Familienangehörige, die den Mut hatten, sich in den Wald zu schleichen und die drei jungen Frauen mit dem Notwendigsten zu versorgen, das sie zum Überleben brauchten. Die meisten fürchteten sich vor dem Fluch des alten Captain Potter. Außerdem hatten die Stadtoberen den Bürgern unter Androhung von Folter, Kerker oder Galgen verboten, den dreien zu helfen. In den Gesetzesbüchern waren für sogenannte Hexenverbündete strenge Bestrafungen vorgesehen.
    Â»Tess hat mir erzählt, dass die Leute, die innerhalb der alten Stadtgrenzen geboren wurden, in bestimmten Nächten die Pickering-Schwestern hören können«, sagte Maddie leise. »Ihre Rufe klingen wie ein heiseres, schwermütiges Wehklagen und mischen sich mit hysterischen, schrillen Schreien. Tess schwört, dass sie in manchen Nächten schon von diesen Schreien aufgewacht ist.«
    Â»Hast du sie schon mal gehört?«, fragte Cordelia aufgeregt.
    Â»Ich bin Gott sei Dank in Boston geboren«, lachte Maddie.
    Sie blieben stehen und Cordelia schien angestrengt in den Wald hineinzuhorchen. Ein starker Wind kam auf und wirbelte die toten Blätter über den Waldboden.
    Â»Und wie ist die Geschichte ausgegangen?«
    Â»Die Hexenhysterie legte sich allmählich - aber den Pickerings half das nichts«, erzählte Maddie. »Sie kehrten in die Stadt zurück, weil sie glaubten, ihnen würde keine Gefahr
mehr drohen. Aber die Bewohner von Hawthorne waren noch nicht fertig mit ihnen. Man steckte sie in das Gefängnis von Fort Glover, wo sie tagelang gefoltert wurden. Als Entgelt für ihre Einkerkerung ließ der Stadtrat ihr gesamtes Hab und Gut beschlagnahmen - sie mussten also im Grunde genommen für ihre Folter auch noch bezahlen. Anschließend wurden sie von Amtsärzten für geisteskrank erklärt und in die psychiatrische Anstalt Ravenswood Asylum gesteckt, die damals ›Die Hexenfestung‹ genannt wurde.«
    Â»Die Hexenfestung«, wiederholte Cordelia langsam, und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Sind sie jemals wieder herausgekommen?«
    Maddie nickte. »Der Legende nach konnten sie fliehen. Aber niemand weiß, wie ihnen die Flucht gelang. Viele glaubten, sie würden zurückkehren und sich für das, was ihnen angetan worden war, rächen. Aber das taten sie nie. Es gab aber auch andere Gerüchte, die besagten, dass sie in die Sklaverei und Prostitution verkauft oder umgebracht wurden. Manche Leute glauben, dass sie auf Misery Island ausgesetzt wurden und dort erfroren oder verhungerten. Jedenfalls sollen ihre rastlosen Seelen auf der Insel und hier im