Sisters of Misery
wiedergegeben und dabei auf jedes noch so
kleine Detail geachtet. Eine Blüte drängte sich an die nächste, Blätter griffen, einem wunderschönen Muster folgend, ineinander, Ranken bahnten sich ihren verschlungenen Weg über die Wände, und jeder Quadratzentimeter des Raums war in leuchtende Farben getaucht. Selbst das Kieferparkett war Rebeccas Pinsel nicht entkommen, ja, sie hatte sich sogar über die Grenzen ihrer Zimmerwände hinausgewagt und den Fensterrahmen in verschiedenen Blautönen bemalt, sodass er bei Tag mit dem Blau des Himmels verschmolz.
Es schien unvorstellbar, dass eine Frau, die nicht mehr in der Lage war, sich durch Worte mitzuteilen, die kaum noch bei Verstand war, ein derart aufwendiges und vielschichtiges Kunstwerk geschaffen haben sollte. Unglaublich, wie ein Mensch, der die einfachsten alltäglichen Handlungen nicht mehr bewältigen konnte, in seiner künstlerischen Ausdruckskraft die winzigsten Details einfing. Maddie war von dem Anblick vollkommen überwältigt.
Und dort, mitten in diesem Garten Eden, den sie selbst erschaffen hatte, saà Rebecca. Maddie musste an die Schlange aus der Schöpfungsgeschichte denken - statt sich in Rebeccas Paradies zu schleichen, hatte sie es einfach verschlungen, und jetzt waren Rebecca und ihr Garten für immer im Bauch der Bestie gefangen.
»Rebecca, Sie haben Besuch. Erinnern Sie sich noch an Ihre Nichte Madeline?« Schwester Dot sprach laut in Rebeccas Ohr. »Maddie Crane? Die Tochter von Abigail, Ihrer Schwester.«
Als Rebecca den Namen Abigail hörte, versteifte sie sich.
Maddie erinnerte sich, wie sie eines Nachmittags in eine der Streitereien zwischen ihrer Mutter und Rebecca geplatzt war.
Dieser Nachmittag schien Lichtjahre her zu sein. Damals war das Feldhockeytraining wegen Regen ausgefallen, und sie war wie immer, wenn sie nichts anderes zu tun hatte, zum Laden gegangen. Als sie dort ankam, drangen aufgebrachte Stimmen durch die angelehnte Eingangstür. Sie hatte hineingespäht und gesehen, wie ihre Mutter und Rebecca sich lauthals stritten. Sie schrien sich an, bis ihre Stimmen sich überschlugen und Maddie kaum noch verstehen konnte, welche Gemeinheiten sie sich an den Kopf warfen.
⦠hätte niemals hierherkommen sollen â¦
⦠stiftest mal wieder nur Unfrieden â¦
⦠bloà eifersüchtig ⦠nicht meine Schuld! â¦
⦠in Kalifornien geblieben! ⦠mein Leben, meine Stadt â¦
⦠Flittchen! ⦠mir ins Gesicht ⦠nicht hier, nicht jetzt â¦
⦠warum hast du nicht ⦠wegen ihm â¦
Als Maddie zögernd in den Laden trat, ertönte das helle Klingeln des Windspiels, das über der Tür hing. Hastig drehten die beiden sich zu ihr um, die Gesichter immer noch vor Wut gerötet. Ihre Mutter wandte ihr sofort wieder den Rücken zu und steckte die Strähnen, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatten, wieder fest, aber Rebecca gelang es, sie trotz ihrer sichtlichen Bestürzung liebevoll anzulächeln.
»Hey, mein Schatz. Wo hast du meine kleine Unruhestifterin gelassen?«, fragte sie und meinte damit Cordelia.
»Sie hatte noch zu tun. Ich bin nur deswegen so früh hier, weil das Training ausgefallen ist«, antwortete Maddie.
Ihre Mutter schnaubte und murmelte so leise etwas vor sich hin, dass Maddie es nicht verstand. Im Gegensatz zu Rebecca, die sich zu Abigail umdrehte und sie mit Tränen in den meerblauen Augen wütend ansah. »Lass uns das später klären, Abby.«
Abigail nickte, stürmte auf die Tür zu und zischte im Vorbeigehen, ohne ihre Tochter auch nur eines Blickes zu würdigen: »Punkt sechs Uhr gibt es Abendessen.« Sie rauschte aus dem Laden und nahm wie eine dunkle Wolke, die sich vor die Sonne geschoben hatte und nun endlich wieder weiterzog, die ganze Anspannung mit sich, die in der Luft gelegen hatte.
Maddie lief zu Rebecca und nahm sie fest in den Arm. Bei ihrer eigenen Mutter hätte sie das nie getan, aber Rebecca war viel weicher und sanftmütiger als Abigail, mehr wie eine ältere Schwester, mit der man immer noch sehr viel Spaà haben konnte.
»Worüber habt ihr euch denn so furchtbar gestritten?«, f ragte sie und warf einen hastigen Blick über die Schulter. Hoffentlich hatte ihre Mutter nicht gesehen, wie herzlich sie Rebecca umarmt hatte.
»WeiÃt du, Liebes«, Rebecca sah sie ernst an, »manche Dinge bleiben lieber ungesagt.
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