Sisters of Misery
fremd, wer war angeblich schwul, welche Taschen und Schuhe waren gerade absolut angesagt - nichts
Neues über die Nacht auf Misery Island erfahren hatte. Als sie selbst die Sprache darauf gebracht hatte, hatten die Mädchen schnell und geschickt das Thema gewechselt.
Ihr jüngster Albtraum - mittlerweile hatte sie sich schon fast an ihre Albträume gewöhnt - gab ihr einen kleinen Einblick in das, was vielleicht passiert sein könnte. Als sie in ihrem Traumtagebuch auf die Einträge der letzten paar Monate zurückblätterte, war es, als lese sie in einem Steven-King-Roman, in dem Dinge beschrieben wurden, die niemals im echten Leben geschehen könnten. Aber sie war dankbar, wenigstens ein paar winzige zusätzliche Anhaltspunkte zu haben - und wenn es auch nur ein oder zwei bruchstückhafte Erinnerungsfetzen waren -, an denen sie sich festhalten, die sie immer wieder in ihrem Kopf hin- und herwenden konnte, bis sie immer gröÃer und deutlicher wurden und die Lücken in ihrer Erinnerung füllten.
Aber heute hatte sie nicht nur eine grauenhafte Nacht hinter sich, sondern auch einen albtraumhaften Tag vor sich: Sie würde zum ersten Mal nach langer Zeit Rebecca wieder sehen. Und sie hatte furchtbare Angst davor. Sobald sich die SchlieÃung von Ravenswood herumgesprochen hatte, hatte ihre Mutter sich sofort nach einer neuen Einrichtung für Rebecca umgesehen und war schlieÃlich auch fündig geworden. Da Abigail der Meinung war, dass Maddie allmählich genug gefaulenzt hatte und auÃerdem viel zu viel Zeit mit Reed Campbell verschwendete, hatte sie ihre Tochter damit beauftragt, die Verlegung ihrer Tante zu beaufsichtigen, den Papierkram zu erledigen und dafür zu sorgen, dass alles problemlos ablief.
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Das riesige rote Ungetüm ragte vor der Kulisse des Atlantischen Ozeans auf, wie es das schon seit Jahrhunderten tat. Das Grundstück der Nervenheilanstalt war von alten Bäumen
bewachsen, die Maddie mit ihren langen knorrigen Zweigen einladend zuzuwinken schienen, während der Wind in ihren Kronen leise Komm näher. Hab keine Angst raunte. Die bedrohliche Fassade des gotischen Baus schien Maddie finster entgegenzustarren, als sie die gewundene, von einem dichten Blätterdach geschützte Einfahrt entlangfuhr. Seit Monaten war Rebecca nun schon an diesem düsteren Ort eingesperrt. Sie war eine der letzten Insassen von Ravenswood, das der Bundesstaat auf Betreiben der Endicotts hin tatsächlich schlieÃen lieÃ. Abigail wollte, dass Maddie sich um Rebecca kümmerte, bevor sie in die neue Einrichtung verlegt wurde. Eigentlich wäre das Tessâ Aufgabe gewesen, aber die alte Dame schien den Bezug zur Realität mit jedem Tag mehr zu verlieren.
Trotz ihrer Angst vor der Begegnung mit ihrer Tante war Maddie fest entschlossen, sich mit Rebecca zu unterhalten, wofür das Pflegepersonal hier wahrscheinlich nicht besonders viel Zeit gehabt hatte. Tief in ihrem Inneren hegte sie sogar die Hoffnung, die Rebecca wieder zu finden, die sie kannte und liebte, die vor Monaten einfach verschwunden zu sein schien und nur diese leere Hülle, dieses Wechselbalg, zurückgelassen hatte. Gleichzeitig fürchtete sie sich davor, erneut das Ziel von Rebeccas Hasstiraden zu werden.
Ursprünglich war die Anstalt als ein Ort des Friedens und der Ruhe gedacht gewesen, an dem geistig kranke Menschen wieder zu sich finden konnten. Der Arzt, der Ravenswood - oder die »Irrenanstalt«, wie es seinerzeit hieà - damals leitete, hatte sich die Einrichtung voller Licht und Musik vorgestellt, umgeben vom beruhigenden Rauschen des Atlantischen Ozeans, als einen Zufluchtsort vor der rauen, unbarmherzigen Welt. Die gotischen Turmspitzen, Mauertürme und Kuppelgewölbe schienen für diese idyllische Vision wie geschaffen zu sein. Doch die jahrelange Ãberbelegung und die schlechte finanzielle Ausstattung hatten sein Traumbild von der würdevollen
Pflege kranker Menschen zunichte gemacht. Viele der als gefährlich eingestuften Patienten wurden in den Zellen untergebracht, die man in den labyrinthartigen Gängen unter dem massiven Gebäude errichtet hatte. Diese Gänge waren vom Stöhnen, von den Gerüchen und der Not der Menschen erfüllt, die dort in völliger Dunkelheit gefangen waren und wochenlang, vielleicht auch jahrelang, kein Tageslicht zu sehen bekamen.
Und nun sollte die Anstalt also endgültig geschlossen werden. Die
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