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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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bewohnten, war zu klein, um darin etwas verstecken zu können; dass Tomek ein ferngesteuertes Auto bekommen würde und ich einen Walkman, war ein offenes Geheimnis. Die einzige Überraschung blieb denn auch, dass aus Spargründen ein Strauß aus Tannenzweigen den Weihnachtsbaum ersetzte.
    Wir hatten uns selbst um die Möglichkeit gebracht, über Weihnachten zu Oma zu fahren. Nun, da unsere Fotos vor dem geliehenen Opel in der Heimat die Runde machten, konnten wir uns dort unmöglich mit dem maluch blicken lassen. Außerdem hatten wir in Deutschland so stark zugenommen, dass wir, wie Papa scherzte, zum Einsteigen in den Winzling einen Schuhlöffel bräuchten.

19.
1990
    Es war der 31. Dezember 1989, der letzte Tag des Jahrzehnts, zu dessen Beginn ich geboren worden war und das ich bis auf seine letzten fünf Monate im sozialistischen Polen verbracht hatte. Draußen sprangen Knallfrösche über den Asphalt, und der Boden in unserem Zimmer war mit zerschnittenen Lappen, Folienrollen und Prospekten bedeckt, aus denen Mama ein Kostüm für Tomek herzustellen versuchte. Ich selbst bastelte eine Prinzessinnenkrone, und Papa saß mit angezogenen Beinen unter dem Hochbett und las ein Buch mit dem Titel »Erfolgreich bewerben«. Nur manchmal schaute er hinter den Seiten hervor, um sich über die Anstrengungen zu wundern, die wir auf uns nahmen. Seit Stunden bereiteten wir uns auf die Silvesterfeier vor, die im Gemeinschaftsraum stattfinden würde. Wie es in Polen beliebter Brauch war, feierten Kinder den letzten Abend des Jahres in selbstgemachten Verkleidungen, und Erwachsene setzten sich lustige Hütchen auf. Das Gemälde an unserer Wand, das Bajtek als dicken Engel zeigte, muss über Nacht seine ernüchternde Wirkung verloren haben, denn als ich hörte, dass Bajtek auf die Silvesterparty kommen würde, hatte ich keinen anderen Wunsch, als ihm dort in Gestalt einer Prinzessin zu begegnen.
    Wenn Bajtek uns spätabends mit seiner Mutter besuchte, stellte ich mich wie gewohnt schlafend, versuchte dabei aber die Wangen einzuziehen, um die Ähnlichkeit mit einem bestimmten Nagetier zu schmälern. Sobald Bajtek sich näherte, sog ich den Geruch seiner Lederjacke ein, und durch Blinzel-Schlitze sah ich das Blut gesund und rosig unter seiner Wangenhaut schimmern. Ich stellte mir vor, dass seine Handballen voller kleiner Steinchen waren, weil er so viel auf dem kalten Asphalt saß, auf öffentlichen Treppen, in dunklen Eingängen, eben überall dort, wo es gefährlich und erwachsen zuging und wo nachts zur Musik von Michael Jackson getanzt wurde.
    Alles, was Bajtek noch fehlte, um ein echter Held zu sein, war eine Prinzessin, die er durch die Gefahren der Unterwelt geleiten konnte. Die Alufolienstreifen zitterten unter meinen Fingern, als ich sie um die unförmigen Zinken des Pappkrönchens wickelte. Sie würden auf meinem Haupte funkeln wie Sonnenstaub auf Ozeanwellen.
    »Was wünschst du dir für das neue Jahr?«, riss Mama mich aus meinen Träumen, während sie einen Knopf an Tomeks Pelerine festzog. Lange Haare wie von dem Mädchen aus dem Lambada-Video, dachte ich, aber weil ich wusste, dass es nicht das war, was meine Mutter hören wollte, sagte ich: »Ich möchte so gut Deutsch sprechen, dass ich mich in der Schule immer melden kann, wenn ich etwas weiß.«
    »Das ist ein schöner Vorsatz«, lobte Mama. »Und du, Paweł? Was möchtest du erreichen?« Papa reagierte nicht, so vertieft war er in sein Buch. »Paul?«
    Nun schreckte er auf, als hätte Mama ihn mit kaltem Wasser überschüttet. »Was wünschst du dir fürs neue Jahr?«
    »Einen Ort, wo ich in Ruhe lesen kann«, entgegnete er mit müdem Lächeln.
    »Wenn ich du wäre, würde ich mir wünschen, endlich eine Arbeit zu finden«, sagte Mama vorwurfsvoll.
    »Das wird nichts!« Papa knallte das Buch zu und warf es wütend auf die Bettdecke.
    »Warum so pessimistisch? Du kannst doch so viel.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Papa finster. »Diese ganze Selbstbeweihräucherung, die von mir erwartet wird. Ich kann mir das nicht vorstellen. Soll ich mich vor meinem zukünftigen Chef gleich im Vorstellungsgespräch zum Affen machen, indem ich den Angeber mime?«
    »Aber so funktioniert das hier nun mal«, sagte Mama. »Das musst du akzeptieren. Warum fällt es ausgerechnet dir so schwer, über dich selbst zu reden? Du hast so viele – wie sagt man noch – Stärken ! Du musst sie nur aussprechen.«
    »Stärken, Stärken! In meinem ganzen Leben hat mich keiner nach meinen

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