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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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ganze Stapel Prospekte.« In diesem Moment kam Bajtek mit einem Videorekorder herein. Er nickte den Erwachsenen grüßend zu, bevor er den Fernseher in der Ecke einschaltete und begann, die Geräte miteinander zu verkabeln. Als er fertig war, schob er eine Video-Kassette ins Fach. Ich jubelte innerlich, als ich Dorotas teledyski erkannte. Noch acht Lieder bis »Lambada«, dachte ich. Wie es wohl wäre, mit Bajtek dazu zu tanzen? Kaum hatte ich den wohlig-beängstigenden Gedanken abgeschüttelt, ertönten schon die ersten Takte von MC Hammers »You can’t touch this«. Isa und ich stürmten kreischend auf die Tanzfläche. Der Fernseher dröhnte auf voller Lautstärke. Im Partyraum ging es genauso zu, wie ich es mir in einer richtigen Diskothek vorstellte. Aber während mein Tanzstil darin bestand, Isa an den Händen zu halten und mich mit ihr im Kreis zu drehen, legte Bajtek solo eine Tanznummer aufs Parkett, die dem akrobatischen Sackhosen-Gehüpfe von MC Hammer in nichts nachstand. Bajtek trug wieder sein T-Shirt mit dem fauchenden Panther, dessen Augen, wie man nun sehen konnte, im Dunkeln leuchteten. Ich war fasziniert und eingeschüchtert zugleich. Nachdem ich Bajtek eine Weile zugesehen hatte, traute ich mich nicht mehr auf die Tanzfläche. So saß ich trübselig auf meinem Stuhl und nippte Kindercola durch einen geriffelten Strohhalm, während Isaura alleine weitertanzte. Zwei Lieder später tippte mir jemand auf die Schulter. Als ich mich umdrehte, blickte ich geradewegs in Bajteks schelmische Augen. Feucht von Tanzschweiß kringelten seine Haare sich noch mehr als sonst.
    »Hey, Ola«, sagte er selbstsicher. »Es ist doch Party! Warum sitzt du denn hier alleine rum?«
    Ich wusste es selbst nicht. Ich wollte etwas Witziges entgegnen, errötete aber nur und schwieg.
    »Sag mal, willst du mit mir tanzen?«, fragte Bajtek auf seine freundliche Bajtek-Art. Alles in mir zitterte.
    »Nein«, hörte ich mich sagen. Im selben Augenblick erstarrte ich vor Entsetzen über meine Antwort.
    »Oh. Schade«, sagte Bajtek, klopfte mir wohlwollend auf die Schulter und verschwand wieder in der tanzenden Menge.
    Ich konnte kaum fassen, was gerade geschehen war. Bajteks Tanzangebot hatte mich völlig gelähmt. Ich musste an die Deutsche denken, die den Mut gehabt hatte, ihm auf einer Postkarte ihre Liebe zu gestehen. Ich schämte mich fürchterlich für meine Feigheit, als ich zu Bajtek sah, der zwischen den Grüppchen von Erwachsenen nicht weniger verloren wirkte, als ich mich in meiner schummrigen Ecke fühlte. Vielleicht konnte ich meinen Fehler ungeschehen machen, indem ich ihm diesmal auf die Schulter tippte. Ihn in der Menge zu entdecken fiel mir leicht, er war wie ein leuchtendes Gummibärchen inmitten langweiliger Erdnüsse. Aber kaum dass ich die Hand nach seinem Rücken ausstreckte, musste ich sie wieder zurückziehen. Bajtek selbst um einen Tanz zu bitten, war das Unmöglichste, Undenkbarste, Unwahrscheinlichste auf der Welt. Ich beschloss, einen Umweg über seine Schwester zu nehmen.
    »Kannst du Bajtek sagen, dass ich doch mit ihm tanzen will?«, schrie ich Isaura ins Ohr, als ich sie gefunden hatte.
    »Sag’s ihm doch selber! Jetzt läuft mein Lieblingslied!«, schrie sie zurück und stürmte auf die Tanzfläche, um zu Madonnas »Like a Prayer« mit den Zöpfen zu peitschen.
    Ich zwirbelte nervös an den Zacken meines Krönchens. Ich wollte nicht Ola sein, die sich die Schuhe schnürte, um Bajtek nicht in die Augen sehen zu müssen. »Ich bin eine Prinzessin. Ich bin eine Prinzessin«, wiederholte ich still vor mich hin. Plötzlich entdeckte ich ein Mädchen in der Tür, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. An der Röte ihrer Wangen und dem eisigen Glanz ihrer Augen erkannte ich, dass sie von draußen kam. Lange dunkle Haare fielen ihr über die Schultern. Unter dem violetten Mantel trug sie ein weißes Kleid, das aus mehreren wallenden Schichten bestand und aussah wie eine Rose, die auf dem Kopf steht. Argwöhnisch beobachtete ich, wie Bajtek grinsend auf sie zuging und sie umarmte, wobei er an ihren Haaren roch. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und trippelte auf der Stelle, während sie sich unterhielten. Er sagte etwas, sie lachte. Dann sagte sie etwas, und er lachte.
    Ausgerechnet jetzt erklangen die ersten Takte Lambada. Bajtek half dem Mädchen aus dem Mantel, bevor er sie an der Hand nahm und auf die Tanzfläche zog. Ich konnte es nicht fassen. Sie sah nicht nur aus wie die braunhaarige Version

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