Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
wollte nicht auffallen«, beendete sie murmelnd.
»Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen«, entgegnete Mama. »Ich bin so unglücklich, dass ich hier mit niemandem reden kann. Ich bringe nicht mal einen simplen Satz auf Deutsch heraus. Die müssen ja glauben, dass ich kein Interesse habe.«
Ewas Mutter zuckte nur mit den Augenbrauen. »Meine Liebe, nehmen Sie es mir nicht übel, ja? Aber Freundschaft wird es zwischen Ihnen und denen hier nicht geben. Die sehen Ihre billigen Klamotten, und schon sind Sie abgeschrieben. Machen Sie sich nichts vor. Man sieht doch von weitem, dass Sie eine Aussiedlerin sind.«
»Aber daran kann ich doch nichts ändern!«, verteidigte sich Mama. »Wir sind nun mal Polinnen.«
»Pschsch!«, zischte Frau Kowalski. »Ich bin keine von euch … Wir sind schon vor fünf Jahren gekommen und haben hart dafür gearbeitet, Deutsche zu werden. Wir haben was geleistet , verstehen Sie? Wir wollen mit den anderen Spätaussiedlern nicht in einen Topf geworfen werden. Es kann ja sein, dass Sie eine gebildete Frau waren in Polen, darum rede ich überhaupt mit Ihnen.«
Mama starrte betroffen auf den Boden, und ich begriff, dass Frau Kowalski sie nicht besser behandelte als Ewa mich. Sie tat es bloß auf die erwachsene Masche, dass man es nicht so schnell merkt.
»Vielleicht könnten wir uns mal auf einen Kaffee treffen?«, schlug Mama vor. »Wir könnten Erfahrungen austauschen, und sagen Sie, was sind denn das eigentlich für Probleme, die unsere Töchter miteinander haben?«
Mein Blick wanderte zu Ewa, die sich mit beiden Händen Bällchen aus Kuchenkrümeln in den Mund stopfte.
»Meine Liebe«, begann Frau Kowalski wieder in ihrem herablassenden Ton. »Ewa soll nicht mit Polen befreundet sein, wenn sie auch deutsche Freunde haben kann. Und bei den ganzen Vorurteilen … Sie wissen doch, was die Deutschen über polnische Aussiedler denken.«
»Nein, das weiß ich nicht«, sagte Mama irritiert.
Woher sollte sie es wissen? Ihre Kontakte zu Deutschen hatten sich bislang auf Arztbesuche, Behördengänge und Einkäufe im Supermarkt beschränkt.
»Sie denken, da kommt der arme polnische Schlucker rüber, kriegt vorn und hinten alles reingeschoben und baut sich dann hier ein schönes weißes Haus. Und die Deutschen, die können zusehen, wo sie bleiben.«
»Aber das ist doch absurd! Wissen die denn nicht, wie wir leben?«, wunderte sich Mama.
»Lesen Sie denn keine Zeitung?«
»Nein. Dafür reicht mein Deutsch nicht. Aber wenn ich höre, was Sie mir da alles erzählen, bin ich fast froh darüber.«
»Wir ermutigen Ewa, gar nicht mehr Polnisch zu sprechen«, fuhr Frau Kowalski unbeirrt fort. »Sie soll dieselben Chancen haben wie die deutschen Kinder.«
»Aber mehrere Sprachen zu sprechen ist doch etwas Wunderbares«, wandte Mama ein.
»Finden Sie? Was soll denn gut daran sein, überall als Pole erkannt zu werden?«
Mama versuchte sich an einem Lächeln. Ich sah, dass ihr die Worte fehlten.
»Sie müssen sich schon anpassen, wenn Sie hier ein ruhiges Leben haben wollen, meine Liebe. Ich kaufe meiner Ewa zum Beispiel nur Markenkleidung. Das ist hier ziemlich wichtig.«
»Ich persönlich finde es wichtiger, dass aus meiner Tochter ein anständiger Mensch wird«, sagte Mama.
»Sehen Sie? Und genau deswegen hat Ewa Freunde und Ihre Tochter nicht. Entschuldigen Sie mich« – sie schaute auf ihre goldene Armbanduhr –, »wir müssen jetzt gehen. Mein Mann holt uns gleich ab.«
»Es war nett, Sie kennenzulernen«, sagte Mama knapp, und Frau Kowalski erhob sich, um Ewa in die Jacke zu helfen.
»Sie hat uns nicht mal gefragt, ob sie uns mitnehmen kann«, sagte Mama, als die beiden außer Hörweite waren. »Dieser Frau mangelt es völlig an Kultur. Polin will sie nicht sein, aber das macht sie nicht zur Deutschen. Sie ist überhaupt nichts.« In Momenten größter Enttäuschung erinnerte mich Mama an Oma Greta.
In Polen hätten wir schon im Herbst die Pilze für das Weihnachtssauerkraut gesammelt, sie in einer Reihe aufgefädelt und zum Trocknen über den Ofen gehängt. Kurz vor Heiligabend würde ein Karpfen in die Badewanne gelassen, um darin seine letzten Runden zu drehen, und Tomek und ich hätten auf der Suche nach Geschenken neue Kellerkammern entdeckt und wären dabei auf Schätze aus Urgroßmutters Zeiten gestoßen. Anders als Omas Haus war die Baracke ohne Geschichte und Tradition. In ihr war kein Platz für Pilzgirlanden und große Fische. Das Zimmer, das wir zu viert
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