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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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ein riesiger Teddybär.
    Die Fotos waren ausgezeichnet gelungen. Papa ließ von jedem Abzüge anfertigen, damit sie in der Verwandtschaft, Bekanntschaft und Nachbarschaft schnell und unkompliziert die Runde machen konnten. Wie es sich für Ausgewanderte gehörte, kaufte Mama viel guten deutschen Kaffee, Gummibärchen und allerlei Shampoos und Badezusätze. Sie packte alles in eine frische Plus-Tüte, die ein Frosch und eine Schildkröte zierten, und band sie an den Henkeln mit Geschenkband zusammen. Zum Schluss schrieb sie noch einen Brief an Oma Greta, schob die Fotos ins Kuvert und übergab alles Herrn Banane, der jeden Monat nach Polen fuhr und sich als privates Logistikunternehmen für die oberschlesische Region einen Namen gemacht hatte.
    In der Schule hatte Frau Stubenrecht eine abendliche Adventsfeier angekündigt. Eingeladen waren alle Kinder und ihre Mütter. Das Programm würde aus »gemütlichem Beisammensein« und »weihnachtlichem Allerlei« bestehen. Ich konnte mir unter einer solchen Veranstaltung wenig vorstellen, denn in Polen verband man die Adventszeit allenfalls mit frommem Fasten und qualvollen Messen in aller Frühe. Feierliche Weihnachtsstimmung wurde für Heiligabend aufgespart. Adventskränze und Spekulatius waren für uns genauso neu wie Weihnachtsmärkte und blinkender Fensterschmuck.
    Ich wollte unbedingt hingehen. Mit der Feier hatte sich endlich eine Gelegenheit ergeben, meiner Mutter zu zeigen, wie meine Schule von innen aussah. Auch Mama war von der Idee begeistert, denn sie spekulierte darauf, dort Freundschaft mit der einen oder anderen deutschen Mutter schließen zu können. Um einen besonders guten Eindruck zu machen, hatte sie den ganzen Tag in der Küche gestanden und babka gebacken, einen luftigen Marmorkuchen mit Zuckerguss.
    Die Feier fand im Klassenzimmer statt. Als meine Mutter und ich ankamen, leierte aus einem Kassettenrekorder viel zu laut »Der Tanz der Zuckerfee« aus Tschaikowskis Ballett »Der Nussknacker«, das ich in Polen schon mal auf der Bühne gesehen hatte. Zu meinem Erstaunen war Frau Stubenrecht selbst als Nussknacker verkleidet, was ihr dank ihrer großen Zähne und kantigen Kleiderbügelschultern gut zu Gesicht stand. Auf dem Lehrerpult drehte sich sanft der Propeller einer Weihnachtspyramide, und um die zu einem riesigen Quadrat zusammengerückten Tische saßen bereits einige Kinder mit ihren Müttern zusammen und bastelten Baumschmuck aus vorgestanzten Glitzersternen. Ich hoffte, dass Frau Stubenrecht uns einen Platz zuweisen würde, aber sie schien viel zu beschäftigt, um uns überhaupt zu bemerken. Weil Mama und ich nicht wussten, wie wir uns in dieser unerwarteten Situation verhalten sollten, stellte Mama den Kuchen auf den Tisch, zu all dem anderen Gebäck, und wir setzten uns in die hinterste Ecke, um nicht aufzufallen. Frau Stubenrecht hatte mittlerweile die Musik etwas leiser gedreht, nun lief ein amerikanisches Weihnachtslied. Mama sah den deutschen Müttern dabei zu, wie sie sich an ihrer babka labten. Hin und wieder wandten sie uns ein freundliches Gesicht zu, eine Frau versuchte sogar, mit Mama ins Gespräch zu kommen, aber Mama war von ihrer Sprachunfähigkeit gelähmt und gab nicht mehr als ein schüchternes Lächeln zur Antwort.
    »Willst du nicht zu den anderen Kindern gehen?«, flüsterte sie mir nach einer Weile ins Ohr. Ich sah mich in der Klasse um und entdeckte die nette Sarah. Aber erstens saß sie neben Ewa, und zweitens wollte ich Mama nicht alleine in der Ecke sitzen lassen. Ob Ewas Mutter auch hier war?
    »Herrjottssakramenter! Wat soll der Kokolores?«, hallte es plötzlich über den Flur, und eine Frau, die einen um sich schlagenden Dominik mit sich zerrte, torkelte ins Klassenzimmer. Jäh war die Kassette zu Ende, und für einen Moment standen Dominik und seine Mutter da wie auf einer Bühne. In der Stille hörte man nur, wie die anderen Mütter sich an ihren heißen Getränken verschluckten. Mit den eleganten Halstüchern und formschönen Fönfrisuren blickten sie entsetzt und erwartungsvoll auf die beiden Gestalten.
    Wenn man über die Frau, mit der Dominik gekommen war, auf Anhieb etwas sagen konnte, dann, dass sie überhaupt nicht wie eine Mutter aussah. Sie war eine großgewachsene, spindeldürre Frau mit einer fransigen, blonden Palme auf dem Kopf. Mehrere pinke Haargummis stapelten sich mittig zu einer Art Stamm, aber statt Kokosnüssen hingen Hula-Hoop-Reifen von ihren ausgeleierten Ohrläppchen. Zu spitzen

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