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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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Hexenschlappen trug sie eine schrill gemusterte Pluderhose und darüber eine ballonartige Jeansjacke, die mit kleinen weißen Perlen übersät war.
    »Ja leck mich in die Täsch!«, stieß sie hervor, als ihr Blick über die Plätzchen und Kuchenstücke wanderte. »Gratis Kamelle? Wat sachste denn dazu!« Ohne Beherrschung stürzte sie sich auf die Blechteller und pickte sternförmige Plätzchen heraus, bis sie beide Hände voll hatte. Dann gesellte sie sich wankend zu ihrem Sohn, während verlegenes Flüstergelächter durch die Reihen ging.
    Dominik saß mit hängenden Schultern an seinem Platz in der gegenüberliegenden Ecke und goss sich heißes Wachs über die Finger, das er dann mit zorniger Miene abrubbelte. Frau Stubenrecht wechselte die Kassettenseite, so dass bald besinnliche Engelschöre das Unbehagen übertönten. Nach einer Weile klatschte Frau Stubenrecht in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen.
    »Es ist Zeit für den Programmteil des Abends. Wer von den Müttern möchte denn das erste Weihnachtsgedicht lesen?«, fragte sie eifrig in die Runde.
    »Wat, ne Jedischt soll isch vorlese?«, krächzte Dominiks Mutter und glotzte beifallsheischend in die Runde. »Näääääh. Dat kannste knicke, knicke kannste dat!«
    Ich sah, wie Dominik die Augen hinter seiner Hand verbarg. »Ich muss Sie doch sehr bitten!«, zischte Frau Stubenrecht mit diskreter Strenge.
    »Wer redet denn so vor seinem eigenen Kind!«, mischte sich ungefragt eine Mutter ein. »Und das in der Adventszeit. Absolut respektlos!«
    »Haste dat jehört, Dommi? Nun jeit et aber los!«, rief Dominiks Mutter und stieß ihm amüsiert den Ellenbogen in die Seite.
    »Ha-ha! Sie hat Dummi gesagt!«, brüllte Ewa durch den Raum.
    »Warum bist du nicht einfach zu Hause geblieben«, hörte ich Dominik murmeln.
    »Wat? Zu Haus jebliebe?! Wo et hier bei dich opp de Scholl Glöhweinsche für ömmsonst jipt?«
    »Du bist doch schon besoffen gekommen!«, sagte Dominik mit zitternder Stimme, als wäre er kurz vor dem Weinen. Zum Glück wusste ich, dass Jungs wie Dominik nicht weinten. Sie brachten bloß andere dazu.
    »Hömma, du Tünnes! Vonne klitzekleine Schnäpsken jeht die Welt nich unter. Und nu Schnauze!«
    Dominik wollte schon zu einer Antwort ansetzen, da stampfte Frau Stubenrecht so heftig auf, dass ihr der buschige Nussknackerschnurrbart aus dem Gesicht fiel.
    »Bitte«, sagte sie mit mühsamer Beherrschung. »Ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn Sie jetzt gehen würden.«
    »Genau! Sie sind hier auf einer Adventsfeier und nicht in der Kneipe!«, rief die vorlaute Mutter wieder.
    Ich krallte mich an den Arm meiner Mutter, die, obwohl sie wenig verstand, ganz blass war vor Schreck, als wäre sie soeben Zeugin eines Banküberfalls geworden.
    »Hömma«, sagte Dominiks Mutter und bohrte Frau Stubenrecht den Zeigefinger in die Brust. »Hömma«, sagte sie wieder, doch weiter schien ihr nichts einzufallen.
    Dominik stieß seinen Stuhl gegen die Wand und stürmte aus dem Klassenzimmer. Seine Mutter trippelte auf ihren Stöckelschuhen hinterher, dann fiel die Tür mit einem Knall hinter ihnen zu. »Pass op, wenn ich dich in die Finger krije!«, hallte ihre Stimme aus dem Treppenhaus nach. »Aber heitschi bumbeitschi bumbum«, leierte es besinnlich aus dem Kassettenrekorder.
    Frau Stubenrecht streute neue Teelichter über die Tische und goss Kaffee nach. Angeregt von dem skandalösen Vorfall brachen die Frauen in ein wildes Geschnatter und Geplapper aus, während meine Mutter einsam in der Ecke saß und unglücklich in ein brennendes Keramikhäuschen schaute wie ein Straßenkind in die Weihnachtsfenster wohlhabender Familien.
    Erst als die Feier sich dem Ende neigte, die Plätzchenteller leer gegessen und die Kerzen zu kleinen Stümpfen niedergebrannt waren, trat eine der Frauen an meine Mutter heran. Sie hatte auffällige Gesichtszüge, kurze rote Haare, die gefärbt aussahen, und trug eine Brille mit Goldrand.
    »Guten Abend, ich bin Justyna Kowalski, die Mutter von Ewa«, grüßte sie auf Polnisch.
    Mama blickte überrascht auf, und ich fragte mich, warum Ewas Mutter sie nicht gleich angesprochen hatte.
    »Ewa hat mir erzählt, dass eine Polin neu in der Klasse ist«, griff sie das Gespräch auf. »Ich habe mir gleich gedacht, dass Sie ihre Mutter sind. Tut mir leid, dass ich nicht früher zu Ihnen gekommen bin, aber …« Sie warf einen Blick über die Schulter, wo die letzten Gäste Kuchenkrümel in die roten Servietten knüllten. »Ich

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