Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
fünfzig sein, bildeten die gewölbte Decke, die auf hoch aufragenden Säulen ruhte. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich, dass keine Säule wie die andere war und einige schräg standen wie verwachsene alte Eichen. Ihre Schatten ließen den runden Raum wie einen stillen, dunklenWald erscheinen. Es war ein Raum, in dem man Angst bekommen konnte. Man sah nicht, wie groß er war, denn wohin man auch schaute, alles verlor sich in der Dunkelheit.
Marian steckte den Schlüssel in die erste Säule, die mit einem Mond markiert war. Die Fackeln an derWand entzündeten sich von selbst und erleuchteten den Raum mit ihrem flackernden Licht.
»Sie sind wunderschön«, sagte Lena atemlos. Ihr Haar kräuselte sich noch immer, und ich fragte mich, wie dieser Ort wohl auf sie wirkte.
Voller Leben. So als ob alle Wahrheit hier zu finden wäre.
»Sie wurden in der ganzenWelt gesammelt, lange vor meiner Zeit. Die hier stammen aus Istanbul.« Marian zeigte auf die mit Ornamenten verzierten Kapitelle. »Diese kommt aus Babylon.« Sie deutete auf eine andere Säule, aus der an jeder Seite vier Falkenköpfe hervorragten. »Ägypten. Das Auge Gottes.« Sie klopfte auf eine Säule, die ein grimmiger Löwenkopf zierte. »Assyrien.«
Ich fuhr mit den Fingerspitzen an den Wänden entlang. Sogar die Mauersteine waren verziert. In einigen waren Gesichter eingemeißelt, Gesichter von Menschen, von Tieren, Vögeln, die wie Raubtiere aus dem Säulenwald hervorstarrten. Andere Steine waren mit Zeichen geschmückt, die ich nicht kannte, Hieroglyphen von Castern und von Kulturen, die mir immer unbekannt bleiben würden.
Wir gingen tiefer in die Halle hinein, verließen die Krypta, die nur als eine ArtVorhalle diente, und wieder fingen Fackeln an zu brennen, eine nach der anderen, so als begleiteten sie unserenWeg. Die Säulen bildeten einen Kreis um einen Steintisch in der Mitte des Raums. Die Bücherregale oder das, was ich für Bücherregale hielt, liefen von diesem Kreis nach außen wie die Speichen eines Rads. Sie reichten beinahe bis zur Decke und schufen ein einschüchterndes Labyrinth, in dem sich ein Sterblicher leicht verirren konnte. Der zentrale Raum aber war, abgesehen von den Säulen und dem Steintisch, leer.
Leise nahm Marian eine Fackel, die in einem eisernen Mond an derWand steckte, und drückte sie mir in die Hand. Eine zweite gab sie Lena und eine nahm sie selbst. »Schaut euch um. Ich muss inzwischen die Post durchsehen. Vielleicht will eine andere Bibliothek sich etwas ausleihen.«
»Aus der Lunae Libri? « Der Gedanke, dass es weitere Caster-Bibliotheken geben könnte,war mir noch gar nicht gekommen.
»Natürlich.« Marian ging zurTreppe zurück.
»Warte. Wie kommt die Post hierher?«
»Genau so wie zu dir. Carlton Eaton bringt sie bei jedem Wind undWetter.«
Carlton Eaton war eingeweiht. Natürlich. Das erklärte auch, weshalb er Amma mitten in der Nacht abgeholt hatte. Ich fragte mich, ob er wohl auch die Post für die Caster-Bibliothek heimlich öffnete. Und ich fragte mich, was ich sonst noch alles nicht über Gatlin wusste und die Leute, die hier lebten. Ich musste den Gedanken nicht einmal laut aussprechen, Marian verstand mich auch so.
»Es gibt nicht allzu viele Menschen wie uns, aber dennoch mehr, als du denkst.Vergiss nicht, Ravenwood steht länger als dieses alte Haus hier. Diese Gegend war bereits Caster-Land, als es hier noch keine Sterblichen gab.«
»Vielleicht ist das der Grund, weshalb ihr in Gatlin alle so eigenartig seid«, stichelte Lena.
Mir ging Carlton Eaton nicht aus dem Kopf.Wer wusste sonst noch, was sich wirklich in Gatlin abspielte, in dem anderen Gatlin, dem Gatlin mit der Caster-Bibliothek tief unter der Erde, dem Gatlin, wo Mädchen jedes beliebigeWetter machen konnten oder einen dazu bringen konnten, von einer Klippe zu springen?Wer wusste sonst noch über die Caster Bescheid.Wer außer Marian und Carlton Eaton?Wer außer meiner Mutter?
Fatty? Mrs English? Mr Lee?
Mr Lee ganz gewiss nicht.
»Macht euch keine Sorgen.Wenn ihr sie braucht, dann finden sie euch. So ist das, so ist das schon immer gewesen.«
»Warte.« Ich hielt Marian am Arm fest. »Weiß manVater auch davon?«
»Nein.«Wenigstens einen Menschen gab es bei mir zu Hause, der kein Doppelleben führte, auch wenn er ein komischer Kauz war.
Marian gab uns noch einen letzten guten Rat. »Besser, ihr fangt jetzt an. Die Lunae Libri ist tausendmal größer als jede Bibliothek, die ihr je
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