Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
Buch der Monde , unser Buch, war weg. Wir brauchten das Buch, heute mehr als an irgendeinem anderenTag. Lenas Stimme dröhnte in meinem Kopf.
So geht die Welt zu Ende nicht mit einem lauten Knall, sondern mit einem leisen Wimmern .
Wenn Lena T. S. Eliot zitierte, dann hatte das nichts Gutes zu bedeuten. Ich schnappte mir die Schlüssel desVolvo und rannte los.
Als ich die Dove Street entlangfuhr, ging gerade die Sonne auf. Greenbrier oder, wie alle anderen dazu sagten, das einzig unbebaute Feld in ganz Gatlin – was es nicht zuletzt zum Schauplatz der Schlacht von Honey Hill qualifizierte –, erwachte ebenfalls gerade zum Leben. Aber der Kanonendonner in meinem Kopf war so laut, dass ich den Kanonendonner draußen gar nicht hörte.
Als ich die Stufen zurVeranda von Ravenwood hinaufrannte, begrüßte mich Boo mit lautem Gebell. Larkin stand auf derTreppe, mit dem R ücken an eine der Säulen gelehnt. Er hatte seine Lederjacke an und spielte mit der Schlange, die sich an seinem Arm hinauf- und hinunterschlängelte. Einmal war es sein Arm, dann wieder eine Schlange. Er wechselte die Gestalt so geschickt, wie ein Spieler einen Stapel Karten mischt. Der Anblick lenkte mich eine Sekunde lang ab. Das und die Art undWeise, wie Boo bellte.Wenn ich es mir recht überlegte, konnte ich nicht genau sagen, ob Boo Larkin oder mich anbellte. Aber Boo gehörte Macon und Macon und ich waren bei unserem letzten Zusammentreffen nicht gerade freundschaftlich auseinandergegangen.
»Hey, Larkin.«
Er nickte mir gelangweilt zu. Es war kalt und ein Wölkchen Atemluft entströmte seinem Mund wie von einer nicht vorhandenen Zigarette. Aus dem Wölkchen wurde ein Ring, und aus dem Ring wurde eine kleine weiße Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss und sich auffraß, bis nichts mehr von ihr übrig war.
»An deiner Stelle würde ich da nicht reingehen. Deine Freundin ist ein wenig, wie soll man sagen, giftig?« Die andere Schlange legte sich der Länge nach um seinen Nacken und wurde zu seinem Jackenkragen.
Tante Del riss die Tür auf. »Endlich. Wir haben auf dich gewartet. Lena ist in ihrem Zimmer und lässt keinen von uns rein.« Ich sahTante Del an, sie war völlig durcheinander, ihre Stola hing verkehrt herum von der Schulter, die Brille saß schräg auf der Nase, selbst ihr schief sitzender grauer Dutt war in Auflösung begriffen. Ich beugte mich vor, um sie mit einer Umarmung zu begrüßen. Sie roch, wie es in den alten Schränken der Schwestern roch, die vollgestopft waren mit Lavendelsäckchen und altem Leinzeug, das von einer Generation zur nächsten vererbt wurde. R eece und Ryan standen hinter ihr wie jammervolle Angehörige, die in einem trüben Krankenhausflur auf die schlimme Nachricht warten.
Auch heute schien Ravenwood mehr Lenas als Macons Stimmung widerzuspiegeln, aber vielleicht waren ja beide in der gleichen Stimmung. Doch Macon war nirgends zu sehen, deshalb war es schwierig zu sagen.Wenn der Zorn eine Farbe hatte, dann war sie über alle Wände hier verspritzt.Wut oder etwas, das ebenso zäh und brodelnd war, hing von jedem Lüster herab, Groll war zu dickenTeppichen verwoben, Hass flackerte unter jedem Lampenschirm hervor. Der Fußboden war in schleichende Schatten getaucht, in eine eigentümliche Art von Dunkelheit, die die Wände hinaufgekrochen war und gerade in diesem Augenblick über meine Converse schwappte, dass ich sie fast nicht mehr sehen konnte. Es war die absolute Finsternis.
Ich könnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wie der Raum in diesem Moment aussah. Ich war zu sehr damit beschäftigt wahrzunehmen, wie er sich anfühlte, und er fühlte sich ausgesprochen übel an. Zögernd ging ich auf die große frei schwebendeTreppe zu. Hundertmal zuvor war ich dieseTreppe hinaufgegangen, ich wusste genau, wohin sie führte. Aber irgendwie war heute alles anders.Tante Del blickte R eece und Ryan an, die hinter mir herkamen, als ginge ich ihnen auf unbekanntes Kriegsgebiet voraus.
Als ich meinen Fuß auf die zweite Stufe setzte, bebte das ganze Haus. Die tausend Kerzen des altmodischen Lüsters, der direkt über mir hing, wackelten, undWachs tropfte mir ins Gesicht. Ich zuckte zusammen und wich zurück. Ohne jedeVorwarnung bäumte sich dieTreppe unter meinen Füßen auf und schnappte zu; sie warf mich um, sodass ich rücklings über den polierten Boden durch die halbe Eingangshalle schlitterte. R e ece undTante Del schafften es gerade noch, mir aus demWeg zu gehen, aber die arme Ryan riss ich mit wie
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