Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
Vom Netzwerk:
overseas 1999, S. 190).
    Seit einigen Jahren jedoch ist die Archäologie bemüht, einen Zugang zur stummen und weitgehend versunkenen Welt der Kolonisierten zu finden – auch auf Sizilien. Die Vorstellung, dass nur die Kolonisatoren ein wirkungsmächtiger Faktor waren und sich allein
ihre
Normen, Wertvorstellungen und Praktiken durchsetzten, ist für die antike Mittelmeerwelt so unhaltbar wie sie für moderne Siedlungskolonisationen in Amerika und anderswo falsch ist. Der Begriff der ,Hellenisierung‘, unter dem die Forschung lange alles verbuchte, was mit griechischen Koloniegründungen im Westen – und im Schwarzmeerraum – im Zusammenhang steht, greift zu kurz. Mit anderen Worten: Griechische Kultur, griechische Technologie, Stilempfinden, Sitten und Gebräuche strahlten nicht einfach von Hellas nach Italien, ins Schwarzmeergebiet oder nach Nordafrika aus; der koloniale Raum war vielmehr eine Kontaktzone, in der sich von den Kolonisatoren Mitgebrachtes und Einheimisches zu neuen, gleichsam ,hybriden‘ Formen verband.
    Wollen wir dieser komplizierten kulturellen Gemengelage auf den Grund gehen, müssen wir zunächst einen Bogen um die griechischen Kolonien machen und uns der materiellen Kultur jener meist dörflichen Siedlungen zuwenden, in denen die einheimische Bevölkerung auch nach der Ankunft der Griechen ihr Dasein fristete. Recht gut bezeugt ist diese Welt im Hinterland der großen Städte an der Ostküste: Syrakus und Megara Hyblaia. Möglicherweise standen die Einheimischen hier schon vor der Gründung von Naxos, der ersten griechischen Kolonie auf Sizilien (ca. 735 v. Chr.), mit der Ägäis in Kontakt. Ein um die Jahrhundertmitte datierendes Grab bei Villasmundo nahe Megara Hyblaia enthielt bereits mittelgeometrische Importkeramik. Mit dem Auftreten der Griechen gelangte zunächst hochwertige korinthische Keramik in die weiterbenutzte Nekropole; zu ihr gesellten sich bald lokale, von griechischen Töpfern in den Kolonien hergestellte Imitate und dann immer freiere Adaptionen der fremden Formen, in denen wieder ältere, einheimische Traditionen durchschlugen.
    Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch an anderer Stelle, so in Monte Finocchito südlich von Syrakus, beobachten: Sie zeigen, wie einheimische Gemeinschaften, |32| kulturell und materiell, allmählich in den Sog der Kolonien geraten, das Formenrepertoire dann aber autonom und nach eigenen Bedürfnissen und eigenem Stilempfinden weiterentwickeln. In Monte Finocchito nahm die Zahl der Gräber im späten 8. und frühen 7. Jh. markant zu – möglicherweise Anzeichen eines Booms, den die nahe griechische Niederlassung Syrakus in ihrem indigenen Hinterland entfachte. Doch machten sich die Syrakusaner schleunigst daran, dieses Hinterland militärisch zu unterwerfen. Ungefähr 20 km nordwestlich von Monte Finocchito entstand 664/63 v. Chr. in den Hybleischen Bergen, einem Kalksteingebirge südwestlich von Syrakus, die Siedlung Akrai. Von hier aus sicherten die Syrakusaner die Zugangswege zu ihrer Stadt und kontrollierten das Umland. Wenige Jahrzehnte nach Gründung der Siedlung, im frühen 6. Jh. wuchs in ihrer Mitte ein Heiligtum in die Höhe: ein dorischer Peripteros, der Aphrodite geweiht, der Tempeln in Syrakus nachempfunden war und weithin kundtat, wer in Akrai das Sagen hatte.
    Gemeinsam mit anderen Siedlungen bildete Akrai ein System von festen Punkten, mit dem Syrakus sein Territorium überzog, das bald den gesamten Südosten Siziliens umfasste. Indigene Siedlungen wie Monte Finocchito machten dem unverhohlenen Machtanspruch bald Platz, doch weiter im Landesinneren, um Modica und Ragusa herum, hielten sich nichtgriechische Siedlungsplätze. Hier blieben die Begräbnissitten, mit den für das vorgriechische Sizilien typischen Kammergräbern, praktisch unverändert. Darüber, wie die Syrakusaner mit den einheimischen Bewohnern ihres Territoriums verfuhren, lässt sich nur spekulieren: Viele mögen sich assimiliert haben, auch dürften ihre Frauen bei den Griechen begehrt gewesen sein; etliche werden aber auch vertrieben oder versklavt worden sein – als friedlich-schiedlichen Prozess jedenfalls haben wir uns die Expansion der griechischen Kolonien auf Kosten indigener Siedlungen kaum vorzustellen.
    Insgesamt war also das Siedlungsbild auf Sizilien ab dem 8. Jh. größeren Veränderungen unterworfen: Die Einheimischen scheinen sich aus den Küstenzonen zurückgezogen und sich vermehrt im Hügel- und Bergland Zentral- und Westsiziliens

Weitere Kostenlose Bücher