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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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Polis als politische Einheit von städtischem Siedlungskern und – meist begrenztem – ländlichem Territorium hatte ihre Wurzeln in der fragmentierten Landschaft des postmykenischen Griechenland. Den Griechen erschienen sie als natürliche Siedlungs- und Organisationsform zivilisierter Menschen. Deshalb ist es nur natürlich, dass auch die Auswanderer, die sich seit dem 8. Jh. v. Chr. ins koloniale Abenteuer stürzten, zuerst zu Gründern von Poleis wurden.
    Die frühen Ansiedlungen – Naxos, Syrakus, Zankle – lagen allesamt im Osten der Insel, in Reichweite der transmediterranen Handelswege zur tyrrhenischen Küste Italiens. Sie verfügten über sichere natürliche Häfen, die vermutlich auch den Ausschlag für die Wahl des Siedlungsplatzes gegeben hatten. Das alles suggeriert, dass Fernhandel die Schlüsselrolle im Prozess der frühen Kolonisation Siziliens spielte: Wie so oft war auch hier die Flagge dem Handel gefolgt. Siedler ließen sich in einem Land, das ihnen nicht unbedingt einen freundlichen Willkommensgruß darbot, auch von Sicherheitserwägungen leiten. Die Wahl von Inseln, Vorgebirgen und Halbinseln für die neuen Poleis in Übersee spricht in dieser Hinsicht Bände.
    Demgegenüber war bei der Anlage späterer Kolonien, erstmals bereits in Leontinoi, offensichtlich die Verfügbarkeit fruchtbaren Ackerlandes von primärer Bedeutung. Die Anlage von Leontinoi tief im Binnenland war atypisch, aber auch wichtige Städte im Westen wie Selinus und Akragas hatten keine sicheren Häfen und Ankerplätze. Charakteristisch ist die Gründung von Sekundärkolonien durch die Poleis des sizilischen Ostens weiter im Westen: Allmählich wurde auch in den großen Städten der ersten Kolonisationswelle der Grund und Boden knapp, und die überschüssige Bevölkerung musste sich anderwärts nach Land umsehen; im Übrigen spielten, wie sicher im Fall des durch Selinunt gegründeten Herakleia Minoa, strategische Erwägungen der Mutterstadt eine Rolle, die durch Gründung von Sekundärkolonien versuchte, ihr eigenes Territorium gegen |36| Angriffe von außen zu sichern. Nicht immer ging dieses Kalkül auf: Herakleia Minoa wurde bald von der Rivalin Akragas erobert und war nun deren Vorposten gegen Selinus; Akragas selbst überflügelte bald seine Mutterstadt Gela und wurde neben Syrakus zum erstrangigen Machtzentrum im griechischen Sizilien.
    Bei allen Unterschieden im Detail künden die Neugründungen vom Willen der Siedler, aus dem Nichts eine voll funktionsfähige Stadt zu schaffen. Nicht immer gelang dies: Die Gründer von Megara Hyblaia versuchten sich in diversen Ansiedlungsprojekten, bevor es ihnen gelang, sich dauerhaft an der Ostküste Siziliens festzusetzen. Grundsätzlich aber war jede der Neu-Städte eine Polis aus eigenem Recht, mit sich formierenden politischen Institutionen, öffentlichem Raum und einer Bürgerschaft, die willens war, ihr politisches Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. An Effizienz und Rationalität übertrafen die neuen urbanen Gebilde ihre Mutterstädte um Längen. Waren die Städte im heimatlichen Griechenland gewachsene Ortschaften, so wirkte alles an den neuen Siedlungen wie auf dem Reißbrett geplant: Breite, sich im rechten Winkel kreuzende Straßen schnitten die Städte in rechteckige Wohnareale, die mit in einheitlicher Bauweise errichteten Häusern bestanden waren. Praktisch von der ersten Minute an verfügten die Kolonien über Stadtbefestigungen und freie Areale, auf denen alsbald öffentliche Gebäude – vor allem die Agora und die sie begrenzenden Bauten – in die Höhe wuchsen. Bereits wenige Jahre nach ihrer Gründung machten die kolonialen Städte einen erstaunlich „fertigen“ Eindruck. Nichts vermittelt eine lebendigere Vorstellung von der Tatkraft und Entschlossenheit der griechischen Siedler als die Städtelandschaft, die sie in wenigen Jahrzehnten aus dem sizilischen Boden stampften.
    Naxos
    „Von den Hellenen waren es zuerst die Chalkidier, welche, von Euboia kommend, mit Thukles als ihrem Gründer die Stadt Naxos erbauten und jenen Altar des Apollon Archegetes errichteten, der noch jetzt außerhalb der Stadt steht und an welchem die Festgesandtschaften opfern müssen, bevor sie Sizilien verlassen.“ So schreibt Thukydides (VI. 3) in dürren Worten über die Gründung der ersten griechischen Siedlung auf sizilischem Boden. Apollon, der Gott des Delphischen Orakels, war für die Siedler selbstverständlich auch nach der Ankunft in der Fremde ein wichtiger

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