Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Loyalität der von ihm abhängigen Städte besser garantierte als brutale Gewalt. Auch nach innen wollte Gelon als Vorkämpfer griechischer Freiheit gelten.
478 v. Chr. starb der große Tyrann und machte, nach kurzem Verwirrspiel um die Nachfolge, seinem Bruder Hieron, dem bisherigen Regenten von Gela, Platz. Ein paar Jahre später, 472, starb auch Theron, dem sein Sohn Thrasydaios folgte. Thrasydaios war der Prototyp des schlechten Tyrannen, despotisch, grausam und krankhaft ehrgeizig. Damit war die Achse Syrakus–Akragas zerbrochen: Thrasydaios zog sogar, in dem Bemühen, ihm Syrakus zu entreißen, gegen seinen Großonkel zu Felde, wurde jedoch von Hieron besiegt und musste Akragas in Schimpf und Schande verlassen. Er ging ins griechische Megara, wo er wenig später hingerichtet wurde. Akragas hingegen streifte das Tyrannenregiment ab und gab sich eine demokratische Verfassung. Syrakus folgte wenige Jahre später, nachdem auch Hieron 467 v. Chr. gestorben und sein Bruder Thrasybulos sich als krasse Fehlbesetzung erwiesen hatte. Unpopulär und von allen außer seinen Söldnern verlassen, musste auch er, nach schweren Straßenkämpfen in Ortygia, ins Exil gehen.
|59| Demokratisches Chaos
Syrakus war nun demokratisch, aber die Tyrannis hatte der Stadt ein schweres Erbe hinterlassen. Tausende von Söldnern lebten ständig in ihren Mauern, Männer, denen der Demos nun die Teilhabe an öffentlichen Leben verweigerte. Verständlicherweise begehrten sie auf, wurden jedoch besiegt und mussten sich woanders eine neue Bleibe suchen. In ganz Sizilien war der politische Umschwung von der Tyrannis zur Demokratie von Unruhen und Bevölkerungsverschiebungen begleitet: Söldner wurden von vielen Gemeinden vertrieben und von anderen angesiedelt, Verbannte zurückgerufen, Städte wie Katane und Kamarina, die ihre Unabhängigkeit verloren und ihre Bevölkerung an Syrakus hatten abgeben müssen, wurden neu- oder wiedergegründet und gewährten Menschen, die auf der Flucht waren, eine neue Heimstatt.
Der Abgang der starken Männer hatte das stabile Machtgeflecht zwischen den großen Poleis aufgeweicht und ganze Landstriche ins Chaos gestürzt. Auch nach innen machte sich die neue Labilität bemerkbar: Tausende von Bürgern waren von den Tyrannen exiliert worden; deren Rückkehr und die verschiedenen Ansiedlungsaktionen erforderten die Beschlagnahme von Land, das anderen Bürgern weggenommen werden musste. Eine Prozesslawine rollte über die Städte Siziliens hinweg. Namentlich Syrakus kam nicht zur Ruhe. Nach dem Sturz der Tyrannis hielten, hinter der demokratischen Fassade, die Nachfahren der Gamoren das Heft wieder fest in der Hand. Die breite Masse, die sich mit dem Status quo nicht abfinden mochte, lief prompt dem nächsten selbsternannten Tyrannen in die Arme.
Dessen Umsturzversuch blieb zwar erfolglos, doch um weiteren Putschen vorzubeugen, adaptierten die Syrakusaner 454 v. Chr. eine Verfassungsinstitution des demokratischen Athen, den Ostrakismos – der in Syrakus Petalismos hieß. Bei der einmal jährlich stattfindenden Abstimmung schrieben die Syrakusaner die Namen missliebiger Mitbürger auf ein Olivenblatt; wer so die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinte, gewann kein Amt, sondern musste der Stadt auf Jahre den Rücken kehren. Man hoffte, dem Ehrgeiz Einzelner auf diese Weise Einhalt zu gebieten, erreichte indes nur, dass sich die begüterten Bürger aus der Politik ins Wirtschaftsleben zurückzogen und ganz dem Luxus frönten. Der Petalismos wurde bald wieder abgeschafft, aber die Demokratisierung der Polis war nun, fürs Erste jedenfalls, irreversibel.
Im Großen und Ganzen entsprach die syrakusanische Demokratie dem attischen Modell. Alle wichtigen Entscheidungen fällte die
ekklesia
, die Versammlung des Demos, der freien Bürger. Ihr zur Seite stand ein Rat, die
bule
, in welche die |60| künstlich geschaffenen Untergliederungen der Polis,
phylai
genannt, ihre Vertreter entsandten. Die Tagespolitik oblag einem Kollegium aus 15 Strategen, die ebenfalls Vertreter der Phylen waren. Ohne dass wir über die anderen Städte Siziliens Näheres wüssten, darf man getrost davon ausgehen, dass auch dort das attische Vorbild prägend war. Die der Tyrannis ledigen Bürger von Syrakus errichteten, als äußeres Symbol ihrer Freiheit, dem Zeus Eleutheros, dem freiheitsbringenden Zeus, ein kolossales Standbild und stifteten zu Ehren desselben Gottes Wettkämpfe mit dem schönen Namen Eleutheria.
Allerdings bedienten sich
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