Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
auf drei Stützpunkte ganz im Westen zurück: Motye (das heutige Mozia, eine kleine Insel in der Lagune vor der Westküste Siziliens), Panormos (Palermo) und Solus (Solunt, eine Siedlung westlich von Palermo). Lange hat man Thukydides’ Bericht ins Reich der Legenden verbannt, doch seit Motye – die mit Abstand am besten erhaltene phönizische Siedlung Siziliens – archäologisch gründlich erforscht wurde, besteht kein Zweifel daran, dass hier spätestens ab dem ausgehenden 8. Jh. v. Chr. Menschen wohnten, die ihre Heimat in der Levante hatten: Das älteste Gräberfeld mit annähernd 200 Gräbern datiert aus der Zeit um 700 v. Chr.
Motye stieg rasch zu einem bedeutenden Zentrum von Kult, Handel und Gewerbe auf. Ein Mauerring umgab die Insel bereits im 7. Jh. als zusätzlicher Schutz vor Feinden. Im Nordosten, auf der Gemarkung Cappiddazzu, entstand ebenfalls im 7. Jh. ein bedeutendes Heiligtum für den lokalen Baal, ein großes Mauerrechteck, in dessen nordwestlicher Ecke sich ein dreischiffiger Kultbau befand. In der Nähe befand sich ein weiterer heiliger Bezirk, ein sogenanntes Tofet, in dem Stelen und Kultstatuen aus Weihegaben aufgestellt und – nach verbreiteter Ansicht griechischer und römischer Autoren – womöglich auch Kinder geopfert wurden. Zwischen den beiden Sakralbauten befand sich ein durch verschiedene Funde als Handwerkerviertel ausgewiesenes Areal: Die zahlreich hier gefundenen Schalen der Murexmuschel verraten, dass hier Färber ihre Werkstätten hatten. Aus Murex gewann man den mit Gold kaum aufzuwiegenden Farbstoff für Purpur, nicht nur in der Antike die Farbe der Könige und ein erstrangiges Prestigegut. Während der Hafen Motyes bislang verborgen blieb, stießen Archäologen im Süden der Insel auf das Trockendock einer Werft.
Mit dem Aufstieg des nahen Karthago zur protoimperialen Seemacht des westlichen Mittelmeerraums, die geschickt immer dann die Karte ethnischer Identität spielte, wenn sie sich zur Schutzmacht phönizischer Siedlungen aufschwingen konnte, geriet zwangsläufig auch Westsizilien ins Blickfeld der Punier. Von Justinus, dem kaiserzeitlichen Epitomator einer Weltgeschichte aus der Feder des um Christi Geburt lebenden Historikers Pompeius Trogus, erfahren wir, dass hier ein karthagischer Admiral namens Malchus bereits um die Mitte des 6. Jh. erfolgreich operiert hatte, bevor er sich einem anderen Kriegsschauplatz auf Sardinien zuwandte und dort eine schmähliche Niederlage einstecken musste (Justin. XVIII. 7, 1). Was immer Malchus’ genaue Mission war, Sizilien war bereits um 550 für Karthago interessant geworden.
70 Jahre später drohte die expansive Achse Syrakus–Akragas die karthagischen Bemühungen, auf Sizilien Fuß zu fassen, zunichte zu machen. Der Ehrgeiz |58| des aus Himera exilierten Tyrannen Terillos, die Kontrolle über seine Stadt zurückzugewinnen, kam den Verantwortlichen in Karthago daher wie gerufen. Überdies verfügte Terillos, wie Herodot (VII. 165) uns glauben machen will, über exzellente Beziehungen nach Karthago: Er war der
xenos
, der Gastfreund, eines karthagischen Notabeln namens Hamilkar; und dieser Hamilkar war es, der mit angeblich 300 000 Mann sowie einer Flotte aus 200 Kriegs- und 3000 Frachtschiffen – die Zahlen sind sicher gröblichst übertrieben – 480 v. Chr. in Panormos landete, bei Himera ein Feldlager aufschlug und bald gegen die rebellische Stadt vorrückte. Er besiegte ein Aufgebot der Himeraier, und auch das Heer Therons konnte ihm nicht standhalten. Erst Gelons Eingreifen wendete das Blatt; seine Reiterei nahm das gegnerische Feldlager ein und tötete Hamilkar. Die griechische Welt feierte Gelons Erfolg als westliches Äquivalent zur ebenfalls 480 v. Chr. von den Athenern siegreich bestandenen Schlacht von Salamis. Gleich zweimal hatte Hellas über die Barbaren triumphiert.
Wichtiger als solche panhellenischen Phantasien waren die unmittelbaren Folgen, die Gelons Sieg für Sizilien zeitigte. Syrakus war auf lange Zeit Trinakrias unangefochtene Führungsmacht; die Karthager zogen sich für Jahrzehnte aus der sizilischen Politik zurück. Gelon aber übte sich, für manche Beobachter überraschend, im Maßhalten: Er beließ Messene seine Unabhängigkeit, dessen Tyrann Anaxilas sogar in seine Familie einheiraten durfte, griff nicht in die Belange der elymischen und phönizischen Gebiete im Westen ein und ließ auch Selinus in Ruhe. Der Tyrann von Syrakus erkannte sehr wohl, dass Autonomie, in Maßen gewährt, die
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