Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
nachhaltiger als ihre Kollegen im Osten. Als Erster griff kurz vor 600 v. Chr. Panaitios in Leontinoi nach der Macht, ihm folgte in Akragas um 570 der Kreter Phalaris, der sich mit Hilfe angeworbener Söldner den Weg nach ganz oben freiputschte. Um ca. 500 v. Chr. war die Tyrannis das erfolgreichste Herrschaftsmodell auf Sizilien geworden. In Gela herrschten nacheinander die Brüder Kleandros und Hippokrates (ca. 505 – 491 v. Chr.). Ihnen folgte Gelon nach, während ungefähr gleichzeitig (488 v. Chr.) Theron in Akragas zur Alleinherrschaft gelangte.
Von den meisten dieser frühen sizilischen Tyrannen erzählte man sich wüste Geschichten: Phalaris soll einen Schmied beauftragt haben, einen hohlen Stier aus Eisen anzufertigen, in dem Regimekritiker bei lebendigem Leibe geröstet wurden; erstes Opfer dieser bemerkenswerten Apparatur wurde der Schmied selbst (Stobaeus, Flor. IV. 8, 35). Auch stand der Tyrann in dem Ruf, gelegentlich kleine Kinder zu verspeisen. Das meiste dieser Schauergeschichten dürfte ins Reich der Sagen und Legenden gehören, aber immerhin ein Tyrann, Kleandros von Gela, machte sich so unbeliebt, dass er einem Mordanschlag zum Opfer fiel.
Auf Sizilien setzte die Tyrannis eine politische Dynamik frei, die im griechischen |54| Mutterland und auch in der übrigen hellenischen Diaspora ohne Vorbild war. Pionierarbeit leistete, wenn man so will, Hippokrates von Gela, der Bruder und Nachfolger des ermordeten Kleandros, der die Reiterhorden seiner Heimatstadt weite Teile Ostsiziliens unterjochen ließ. Bereits Kleandros hatte mit der Befestigung des gebirgigen Hinterlandes seiner Stadt begonnen. Hippokrates prägte als einer der Ersten im Westen Münzen, machte so die Erlöse, die er aus dem Verkauf von Kriegsgefangenen erzielte, zu Geld, warb Söldner an und sammelte ein großes Heer. Damit eroberte er nacheinander die chalkidischen Städte Naxos, Zankle und Leontinoi, wo er ihm loyale Tyrannenherrschaften nach dem Modell von Gela installierte.
Durch die Eroberung von Zankle wurde er sogleich in den Sog weit größerer Ereignisse gezogen. Vor der Eroberung ihrer Stadt hatten die Bewohner von Zankle von den Persern vertriebene Flüchtlinge aus Samos eingeladen, nahe ihrer Stadt eine neue Kolonie zu gründen. Der mit Hippokrates rivalisierende Tyrann von Rhegion – der Stadt jenseits der Meerenge von Messina – lenkte nun diese Flüchtlinge nach Zankle selbst um, das prompt von den Samiern erobert wurde. Die Rechnung ging jedoch nicht auf, weil Hippokrates gegen jede Erwartung ein Arrangement mit den Samiern fand, um sich sogleich dem nächsten Gegner, Syrakus, zuzuwenden. In Syrakus herrschte Stasis: Die Bevölkerungsmehrheit begehrte gegen die Oligarchie der Gamoren auf, und genau hier sah Hippokrates seine Chance. Doch bereiteten ihm die geknechteten Massen von Syrakus nicht den gewünschten triumphalen Empfang – Hippokrates musste sich mit territorialen Zugeständnissen der Syrakusaner zufriedengeben, zog ab und fiel bald darauf auf seinem nächsten Abenteuer, einem Krieg gegen die Sikeler der Ätna-Region.
Vorerst harrte also Hippokrates’ Projekt eines unter Führung von Gela vereinten Ostsizilien der Verwirklichung. Trotzdem zeigt seine Politik der brachialen Gewalt in aller wünschenswerten Klarheit, wohin die Reise ging: Das Modell der Polis, das mit den Griechen nach Sizilien gekommen war, hatte sich überlebt. Oder besser: Es war der anderen Umwelt einer Insel, die ihren Bewohnern beispiellose Ressourcen in die Hand gab, auf der zudem – dank der lokalen Bevölkerung des Binnenlandes – Söldner in praktisch unbegrenzter Menge zur Verfügung standen und deren Gelände marschierenden Heeren wenig Widerstand bot, nicht angepasst. Alles auf Sizilien strebte deshalb der Errichtung großräumiger Territorialherrschaften entgegen; und deren Träger konnten, nach Lage der Dinge, nur die Tyrannen sein, die sich in ihren Städten so kompromisslos den Weg nach oben gebahnt hatten und nun nach höherem Ruhm strebten. Ihnen gehörte die Zukunft, vorerst jedenfalls.
|55| V Tyrannen und Demokraten
Hippokrates fiel zu Füßen des Ätna, aber er hatte seinen Nachfolgern die Richtung gewiesen. Unter Gelon stieg Syrakus, im Bündnis mit Akragas, zum erstrangigen Machtzentrum des griechischen Sizilien auf. Zugleich wurde erstmals Karthago in die politischen Verwicklungen zwischen den griechischen Städten hineingezogen: Bei Himera unterlag es der Allianz aus Syrakus und Akragas, doch bald schon
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