Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
ein Vorgeschmack sein auf die Verwüstungen und das Leid, das noch bevorstand. Zunächst aber triumphierte die Vernunft: Man traf sich in |62| Gela und schloss einen brüchigen Frieden (424 v. Chr.). Doch bald brannte der Konflikt von neuem auf, diesmal als Bürgerkrieg in Leontinoi, wo die kleinen Leute gegen die oberen Zehntausend rebellierten. Die aber riefen Syrakus zu Hilfe, das die Stadt füglich in Schutt und Asche legte, die Bewohner vertrieb und den Oligarchen Asyl gewährte. Athen griff nicht ein. Unterdessen ging im Westen der Dauerkonflikt zwischen Segesta und dem von Syrakus unterstützten Selinus in die nächste Runde. In Segesta wandte man sich an Karthago, das aber den Beistand versagte; so blieb nur noch der Weg nach Athen (416).
Dass die Gesandten aus Segesta in Athen Gehör fanden, war der besonderen Situation dort zu verdanken. Der trügerische Nikiasfrieden (421) hatte Attika eine Ruhepause von fünf Jahren beschert und den Appetit auf neue militärische Abenteuer geweckt. Der allgemeinen Kriegsbegeisterung verlieh Alkibiades seine Stimme, ein schillernder Aristokrat, der die Volksversammlung bald auf seiner Seite hatte. Die Athener schickten eine Gesandtschaft nach Segesta, die dort potemkinsche Dörfer inspizieren durfte und, zurück in der Heimat, vom phantastischen Reichtum der elymischen Stadt berichtete. Dass Segesta ein Bauerndorf mit hellenischem Tarnanstrich war, seine Prachtbauten unfertige Kulissen, war ihnen verborgen geblieben.
Der erfahrene Politiker Nikias, der in der Volksversammlung mit Verve gegen die Expedition argumentiert hatte, zog den Kürzeren. Seine persönliche Tragik war, dass er nun auch noch dazu ausersehen wurde, gemeinsam mit Alkibiades das Unternehmen zu befehligen, das er in richtiger Einschätzung der Lage für ein Himmelfahrtskommando hielt. Alkibiades, der sich mit dem Vorwurf des Sakrilegs konfrontiert sah, flüchtete sich schon bald ins Exil, und Nikias hatte die alleinige Verantwortung für die wohl 25 000 Mann zu tragen, die 250 Schiffe im Sommer 415 gen Sizilien verfrachteten. Zu ihnen gesellten sich im Laufe der Monate, als die Lage des Expeditionskorps immer verzweifelter wurde, noch mehrere Tausend Mann Verstärkung, ein gewichtiger Teil der athenischen Streitmacht, der auf dem Hauptkriegsschauplatz nicht mehr zur Verfügung stand.
Zu den politischen Fehlern kamen bald strategische: Nikias vertat, nachdem er sein Lager bei Katane bezogen hatte, wertvolle Zeit mit der erfolglosen Suche nach sizilischen Alliierten, Zeit, die Syrakus nutzte, um sich gegen den bevorstehenden Angriff zu wappnen. Als die Athener endlich damit begannen, Belagerungsmauern um Syrakus zu ziehen, trieben die Syrakusaner Quermauern voran, mit denen sie die Bauarbeiten empfindlich störten. Zwar gelang der athenischen Flotte die Einnahme des Großen Hafens südlich von Ortygia, doch auch diesen strategischen Vorteil machten die Syrakusaner und ihre spartanischen |63| und korinthischen Verbündeten dadurch zunichte, dass sie die Athener in ihren Stellungen einschlossen. Die Belagerer waren jetzt die Belagerten.
Das Unternehmen geriet vollends zum Fiasko, als die Spartaner und ihre Alliierten den Krieg abermals nach Attika trugen. Gleichwohl schickten die Athener Flotte um Flotte nach Sizilien, um doch noch den Sieg gegen Syrakus zu erzwingen. Vergeblich: Die attischen Ressourcen waren spätestens jetzt hoffnungslos überstrapaziert. Nikias mochte das Unternehmen dennoch nicht abblasen, aus Angst vor Verurteilung in Athen. Tatsächlich glaubte er immer noch, er könne einen Keil zwischen die Syrakusaner und ihre spartanischen Verbündeten treiben.
Die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Schließlich beschloss man trotz allem, die Belagerung aufzugeben, verzögerte die Abfahrt jedoch noch um einen Monat, weil eine Mondfinsternis ein allzu ungünstiges Vorzeichen zu sein schien. Das Unglück kam dann doch über die Athener: Unterdessen hatten nämlich die Syrakusaner die Zufahrt um Großen Hafen blockiert; der Rückweg war abgeschnitten. Ein Ausbruchsversuch dezimierte die Flotte so stark, dass er abgebrochen werden musste. Das Heer stürzte sich Hals über Kopf in die Flucht zu Lande, aber kaum einer entkam. Die Feldherren wurden hingerichtet, die Soldaten in die Steinbrüche getrieben, wo viele von ihnen umkamen. Der Rest wurde in die Sklaverei verkauft.
„Dieses Unternehmen war das größte hellenische in dem ganzen Kriege, nach meiner Überzeugung überhaupt das größte
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