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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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siedelte, wie es inzwischen schon guter Brauch geworden war, erhebliche Teile der Bevölkerung um – und nahm sogleich das nächste Expansionsziel ins Visier. Längst hatten sich seine Begehrlichkeiten auf das italische Festland gerichtet: Im Bündnis mit den Lukaniern eroberte er Rhegion (388) und stieß sogar bis nach Apulien vor, wo er die Adria erreichte. Noch zweimal suchte er das Kräftemessen mit Karthago, das sich durch seine großräumige |68| Machtpolitik bedroht sah und wenigstens seine letzten Positionen auf Sizilien retten wollte. Ein entscheidender Erfolg gelang keiner der beiden Seiten; den letzten Krieg mit Karthago beendete Dionysios’ Tod (367).
    Dionysios drückte der Geschichte Siziliens seinen Stempel auf wie kein sizilischer Herrscher vor ihm. Sein persönliches Regiment stellte die ältere Tyrannis in jeder Beziehung in den Schatten: Längst war es der Stadt, die seine Residenz war, entwachsen und richtete sich auf Ziele, die weit jenseits des Meeres lagen. Mit seiner aufwändigen Hofhaltung, wohltätigen Großzügigkeit und der Förderung von Kunst und Dichtung, aber auch mit dem kontinuierlichen Verbrauch gewaltiger Geldsummen, seinem militärischen Aktionismus und dem Bemühen, dynastische Kontinuität zu sichern, nahm Dionysios auffallend viele Elemente der späteren hellenistischen Monarchien seit Alexander dem Großen vorweg. Sein Politikstil hatte, im Sinne einer berühmten Typologie legitimer Herrschaft, die auf den Soziologen Max Weber zurückgeht, eine eminent „charismatische“ Komponente: Stets war er bestrebt, die außeralltäglichen Umstände, die ihn an die Macht gebracht hatten, wirksam zu halten. Vor allem deshalb wohl stürzte er sich in ein militärisches Abenteuer nach dem anderen. Nichts hatte ein Mann wie Dionysios, auf den sich die Heilserwartungen seiner Zeitgenossen – und die Gewinnerwartungen vor allem seiner Söldner – richteten, mehr zu fürchten als politisch ruhige Fahrwasser, in denen andere Führungsqualitäten gefragt waren als die des rastlosen Condottiere.
    Diadochen: Dionysios II. und Dion
    Dionysios’ charismatisches und politisch wie militärisch höchst erfolgreiches Regiment hatte gleichsam den Modellfall für die neue Tyrannis geschaffen, aber er stürzte die Großmacht Syrakus doch auch in ein tiefes Dilemma: Die Tyrannis als spezifisch sizilische Variante der Alleinherrschaft war in all den Jahren alternativlos geworden; Nachfolger indes, denen die großen Schuhe eines Dionysios gepasst hätten, waren weit und breit keine in Sicht. Sein Tod hinterließ deshalb eine Lücke, die nur unzureichend gefüllt werden konnte.
    Der Nachfolger hieß ebenfalls Dionysios und war der noch nicht dreißigjährige Sohn des großen Tyrannen. Die Quellen zeichnen von ihm das Bild eines antrieblosen, dem Luxus und dem Alkohol ergebenen Jünglings, der die Regierungsgeschäfte nur allzu gerne anderen überließ. Der Tag seiner Bewährung kam, als Dion, der Vertraute, Schwager und Schwiegersohn des alten Dionysios, dabei ertappt wurde, wie er konspirativ mit Karthago Verbindung aufnahm. |69| Dionysios II., der seinen Herrschaftssitz auf das italische Festland verlegt hatte, bestand die Probe nicht: Anstatt Dion sofort aus dem Verkehr zu ziehen, schickte er ihn in ein ehrenvolles Exil nach Griechenland. Dort sammelte er sizilische Verbannte um sich und landete 357 v. Chr. an der Spitze eines Söldnerheeres im karthagischen Teil Siziliens. Von dort marschierte er bis Syrakus, das er, ohne auf ernsthaften Widerstand zu treffen, eroberte.
    Die Aktion war Auftakt zu einem Jahrzehnt wirrer Kriege, deren Front teilweise mitten durch Syrakus verlief. Das Reich des alten Dionysios löste sich, in Ermangelung einer funktionierenden Zentralgewalt, rasend schnell auf, überall schossen Tyrannenherrschaften wie Pilze aus dem Boden, Söldnerheere zogen, jeder Autorität ledig, marodierend und plündernd durch die Lande. Dion fand in diesem Chaos 354 den Tod; Dionysios II. hingegen sah dem Treiben von Kalabrien aus mehr oder weniger untätig zu. Schließlich – Sizilien war inzwischen in einen Flickenteppich lokaler Herrschaften verwandelt – sah er seine Chance gekommen: 346 eroberte er Syrakus zurück.
    Gut 20 Jahre waren seit dem Tod seines Vaters vergangen, aber Sizilien hatte in der Zwischenzeit vollständig sein Gesicht gewandelt: Aus einer wohlhabenden, weitgehend befriedeten Insel hatten die endlosen Konflikte ein Trümmerfeld gemacht; die Bevölkerung war, speziell im

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