Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
sich dasselbe Schauspiel in den Städten Gela und Kamarina.
Die Demokratie in Syrakus war der Krise nicht gewachsen. Unverzüglich wurde der Ruf nach einem starken Mann laut – und der stand auch schon bereit. 407 v. Chr. hatte Hermokrates versucht, Syrakus im Handstreich zu nehmen. Er war bei dem Unternehmen gefallen, aber in seinem Gefolge befand sich ein junger Mann, der all jene Eigenschaften zu besitzen schien, derer es bedurfte. Vor allem war dieser Dionysios redegewandt, kaltblütig und zielstrebig: Er agitierte in der Volksversammlung gegen jene, die für die bisherige Kriegführung verantwortlich waren, ließ sich zum Strategen wählen und setzte sich, nachdem er bei Gela eine Niederlage kassiert hatte, mit den Karthagern an den Verhandlungstisch. Wie durch ein Wunder brachen die ihren Vormarsch ab und schlossen einen Vertrag mit Syrakus: Das Dokument, unterzeichnet im Jahr 405 v. Chr., sprach den Karthagern Westsizilien zu, einschließlich der Griechenstädte Gela, Kamerina, Himera, Selinus und Akragas, deren Bewohner zurückkehren durften, aber Tribute entrichten mussten; Leontinoi, Messene und das Gebiet der Sikeler sollten frei sein. Eine Klausel erkannte Dionysios ausdrücklich die Herrschaft über Syrakus zu – von ihm versprachen sich die Karthager offensichtlich am ehesten eine Stabilisierung des gegenseitigen Verhältnisses.
Griff nach der Weltmacht: Dionysios I.
Erstmals seit 60 Jahren unterstand Syrakus wieder einem Tyrannen. Als glänzender Demagoge verstand er es, sich als Sachwalter der Volksinteressen in Szene zu setzen. Zugleich verfügte er über exzellente Kontakte zu den Vertretern der lokalen Eliten: Er heiratete eine Tochter des Hermokrates und verflocht auch sonst seine eigene mit anderen führenden Familien der Stadt. 38 Jahre blieb er an der Macht, bis zu seinem Tod 367 v. Chr. – 38 Jahre, in denen Syrakus machtpolitische Höhen erklomm, die vorher unerreichbar schienen, in denen |67| sich aber auch die Auswüchse schrankenloser Despotie und eines ans Pathologische grenzenden Verfolgungswahns wie Mehltau über Stadt und Land legten.
|66| Syrakus, das sogenannte Ohr des Dionysios, eine künstliche Grotte, die wohl ein Demeterheiligtum beherbergte.
|67| Bereits 404 brach Dionysios den Vertrag mit Karthago, um sich der Expansion zu widmen. Erstes Ziel war die kleine Stadt Herbessos. Anstatt aber Herbessos zu erobern, sah sich Dionysios mit einer Meuterei seines eigenen Heeres konfrontiert. Die Soldaten eroberten Syrakus und schlossen ihn selbst auf Ortygia ein. Erst nachdem Dionysios Söldner angeworben und sich der Bundesgenossenschaft der Spartaner versichert hatte, konnte er den Belagerungsring sprengen. Ortygia wurde prompt zur Hochsicherheitsresidenz ausgebaut, in der sich der Tyrann vor potentiellen Meuchlern verschanzte. Außerdem sicherte er Syrakus, indem er die Flotte verstärkte und – eine revolutionäre Neuerung in der Belagerungskriegführung – Katapulte bauen ließ.
Dionysios ließ sich durch das Scheitern vor Herbessos nicht entmutigen. Er expandierte auf Kosten der Sikeler im Binnenland, unterwarf Katane und Naxos und überredete die Leontiner dazu, ihre Stadt aufzugeben und – als syrakusanische Bürger – in seine Residenzstadt zu ziehen. Die Kriege finanzierten sich weitgehend durch Plünderungen und dadurch, dass er die Bürger eroberter Städte in die Sklaverei verkaufte. Die Einnahmen versetzten Dionysios in die Lage, noch weiter zu rüsten. Der Gegner stand bereits fest: Karthago. Von der Volksversammlung ließ er sich ermächtigen, der nordafrikanischen Großmacht den Krieg zu erklären. Orchestriert wurde die antikarthagische Stimmungsmache durch „spontane“ Ausschreitungen gegen punische Kaufleute in Syrakus – deren Anwesenheit im Übrigen Beleg dafür ist, dass der Handel auch in politisch stürmischen Zeiten nicht zum Erliegen kam.
Dionysios durchquerte ganz Sizilien, eroberte die elymische Bergfestung Eryx und, nach längerer Belagerung, auch Motye (397). Das Heer verübte Massaker an der Bevölkerung und plünderte die Stadt ausgiebig. Im Jahr darauf erfolgte der karthagische Gegenschlag. Fünf Jahre tobte der Krieg auf und um Trinakria; am Ende stand die vollständige Niederlage Karthagos, das auf seine alten Besitzungen ganz im Westen Siziliens zurückgeworfen wurde. Der Rest der – von den mit Unterbrechungen nun schon jahrzehntelang wütenden Kämpfen arg in Mitleidenschaft gezogenen – Insel gehörte Dionysios.
Der Tyrann
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