Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Todes. Wieder setzte unfehlbar der Zerfallsprozess ein, der, seit Gelon, im Prinzip noch jedes Mal dem Tod eines mächtigen Herrschers gefolgt war: Anarchie machte sich breit, Bürger und Söldner rangen um die Macht, Menschen wurden in großem Stil umgesiedelt, die Poleis fielen von der Zentralmacht ab und überzogen sich gegenseitig mit Krieg. Eine von Agathokles angeworbene kampanische Söldnertruppe, die Mamertiner, bemächtigte sich der Stadt Messene, dessen männliche Bevölkerung sie in einer wahren Blutorgie hinschlachteten. Dem Chaos fiel auch Gela zum Opfer, das von Phintias, dem Tyrannen von Akragas, erobert und zerstört wurde.
|73| Damit schlug wieder einmal die Stunde auswärtiger Mächte. Karthago griff ein, als Syrakus Akragas besiegte und damit drohte, die karthagischen Besitzungen in Westsizilien anzugreifen (ca. 280). Bald schon stand eine punische Streitmacht vor den Toren von Syrakus. Doch auch den Griechen wurde Hilfe zuteil. Pyrrhos, der König von Epiros, der eine Tochter des Agathokles’ geheiratet hatte, hatte soeben auf dem italischen Festland gegen die Römer eine Reihe von Siegen erkämpft, deren strategischer Wert jedoch der hohen Verluste wegen höchst zweifelhaft war. Nun bot sich ihm die Gelegenheit, Ruhm gegen Karthago zu gewinnen; er landete in Tauromenion und prägte bald eifrig Münzen, auf denen er sich „König Pyrrhos“ nannte. Tatsächlich vertrieb er die überlegenen Karthager von der Insel, eroberte Herakleia, die Bergfestung Eryx und Panormos; Selinus, Segesta und andere Städte schlossen sich ihm aus freien Stücken an; nur Lilybaion konnte sich halten. So erfolgreich Pyrrhos war, bei seinen griechischen Untertanen machte sich der machtbewusste König schnell unbeliebt. Die geplante Invasion Afrikas fiel aus: Ein zutiefst frustrierter Pyrrhos kehrte 275 Sizilien den Rücken und auf die Apenninenhalbinsel zurück. Sein Biograph Plutarch legte ihm beim Abschied die schönen Worte in den Mund: „Freunde, welchen Kampfplatz überlassen wir Karthagern und Römern!“
|75| VI Unter dem römischen Adler
Ein grandioser Kampfplatz wurde Sizilien tatsächlich. Über zwanzig Jahre lang tobte der Erste Punische Krieg zwischen Karthago und dem sich gerade erst zur mediterranen Großmacht aufschwingenden Rom. Die Hauptkampflinie, so sie denn auszumachen war, lief meist quer über die Insel. Der Frieden des Jahres 241 v. Chr. beendete Jahrhunderte karthagischer Präsenz auf Sizilien. Die großen Inseln des Tyrrhenischen Meeres wurden jetzt römisches Einflussgebiet, Sizilien wurde zur ersten römischen Provinz. Im Zweiten Punischen Krieg (218 – 201), dem berühmten Hannibalkrieg, war es abermals Kampfgebiet. Im späten 2. und frühen 1. Jh. erschütterten immer wieder Sklavenaufstände das Land. Danach glätteten sich die Wogen: Das kaiserzeitliche Sizilien war eine friedliche, wohlhabende Provinz, deren Bedeutung sich vor allem in den erheblichen Getreidemengen bemaß, die sie jährlich nach Rom lieferte. Unruhigen Zeiten steuerte Sizilien erst wieder in der Spätantike entgegen, als die Insel zur Beute erst der Ostgoten, dann der Byzantiner werden sollte.
Die Punischen Kriege
Lange Zeit hatte die inneritalische Expansion Roms im Windschatten der karthagischen Hegemonie im westlichen Mittelmeer stattgefunden. Die Interessensphären der aufstrebenden Landmacht Rom und der etablierten Seemacht Karthago hatten sich nicht überschnitten. Karthago und Rom hatten sogar in einem förmlichen Vertrag 343 v. Chr. ihre Einflussbereiche fixiert und sich gegenseitiger Nichteinmischung versichert. Die Eroberung der süditalischen Griechenstädte durch die Römer als Ergebnis der Pyrrhoskriege (280 – 275 v. Chr.) änderte die Kräftebalance mit einem Schlag: Rom war jetzt eine |76| Macht, deren Horizont über die Apenninenhalbinsel hinausreichte. Wollte sie weiter expandieren, so brauchte sie eine maritime Perspektive.
Zwangsläufiger Schnittpunkt römischer und karthagischer Interessen war der notorische Konfliktherd Sizilien, in dessen Kräftespiel die Stadt am Tiber früher oder später hineingezogen werden musste. Dafür, dass dies eher früher als später geschah, sorgten die Mamertiner, jene kalabrischen Söldner, die nach Agathokles’ Tod eine neue Heimat in Messene gefunden hatten und von dort das Umland tyrannisierten. Eine Lösung der Krise versprach Hieron, ein syrakusanischer Parteigänger des Pyrrhos, der von sich behauptete, er stamme von Gelon ab. Dieser Hieron (II.)
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