Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Dessen König Karl VIII. machte Ende 1494 den Anfang und eroberte als Erbe der Anjou die Metropole am Vesuv fast kampflos – doch nur, um sie binnen weniger Wochen gegen eine Koalition der italienischen Staaten wieder aufgeben zu müssen. Doch damit war ein Anfang gemacht. Bald gab es kein Halten mehr.
Sein Nachfolger Ludwig XII. aus der Linie Orléans war zwar vorrangig an Mailand interessiert, das er als Erbe der Visconti beanspruchte, aber auch im Ringen um Neapel alles andere als passiv. 1500 vermittelte Alexander VI. – in der Hoffnung, der lachende Dritte zu werden – eine Aufteilung Süditaliens unter die spanischen und französischen Rivalen, doch erwies sich dieser Kompromiss schnell als brüchig. In einem dreijährigen Krieg schlug der spanische Feldherr Gonzalo Fernández de Córdoba die überlegenen französischen Truppen und eroberte Süditalien von der Grenze Latiums bis zur Stiefelspitze für seinen Herrn, Ferdinand von Aragón. Damit war ein
fait accompli
geschaffen; alle französischen Rückeroberungsversuche, die sich 1528 nochmals verstärkten, blieben erfolglos. Ein spanischer Gouverneur regierte jetzt in Mailand und jeweils ein Vizekönig in Neapel und in Palermo. Der Norden und der Süden Italiens waren Teile des spanischen Weltreichs geworden.
|128| Doch auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Folgen. In der Metropole Neapel – zeitweise mit mehr als 200 000 Einwohnern die größte Stadt Europas – war von Seiten der spanischen Administration mehr Rücksichtnahme auf breitere Bevölkerungsschichten erforderlich als in Sizilien. So gelang es trotz mehrerer Anläufe nicht, die spanische Inquisition am Vesuv zu etablieren, wohl aber in Palermo. Allerdings entwickelte sich diese gefürchtete und bis heute legendenumrankte Institution auf der Insel anders als in ihrem Mutterland. Dort übte sie zum einen eine intensive Kontrolle über das Sozialverhalten breitester Kreise aus; und zum anderen verfolgte sie – in Ermangelung protestantischer „Ketzer“ – vor allem die sogenannten
conversos
, zum Christentum übergetretene Juden, denen heimliches Festhalten am alten Glauben unterstellt wurde. Stärkeren Einfluss auf den Alltag gewann die Inquisition in Sizilien jedoch nicht. Einer solchen Disziplinierung widersetzten sich nicht zuletzt die kleinen Leute, die auf ihre gewachsenen Freiräume pochten. Daran sollten ab der Mitte des 16. Jh. auch alle Bemühungen um „Konfessionalisierung“ scheitern – die religiösen Vorstellungswelten und Frömmigkeitsformen der unteren Schichten erwiesen sich als immun gegen alle Versuche der Indoktrinierung. Die Abgrenzung wurde immer dann zur aggressiven Abschottung, wenn der Staat – der im Wertesystem der meisten Sizilianer bis weit ins 20. Jh. hinein allenfalls begrenzte Zugriffsrechte besaß – in diese Lebenswelten einzudringen drohte, sei es durch Justiz, Steuern oder Militär. Ohne Folgen blieb die Tätigkeit der Inquisition für Sizilien dennoch nicht. Parallel zum Vorgehen in Spanien setzte sie 1492 die Vertreibung der Juden von der Insel durch; wer bleiben wollte, musste zum Christentum übertreten und büßte dennoch nicht selten sein Vermögen ein. Wie auf der Iberischen Halbinsel hatte diese Ausweisung einen Verlust an ökonomischer Dynamik und gewerblicher Qualifikation zur Folge.
Doch das waren nicht die einzigen Veränderungen, die die Insel als Teil der führenden Weltmacht Spanien erfuhr. An sich kam die faktische Schichtung der spanischen Gesellschaft und die dort herrschende Ideologie den sizilianischen Verhältnissen geradezu ideal entgegen: Auf beiden Seiten dominierte eine gewachsene Geburtselite mit ihrer Hochschätzung vornehmer Abstammung. Doch so unbestritten die spanische Monarchie auch den Adel als natürliche Führungsschicht anerkannte, so pochte sie dessen ungeachtet auf eine stärkere Machtstellung und Durchsetzungskraft, als sie Sizilien seit der Zeit der Normannen gekannt hatte. Diese Formel – gesellschaftliche Vorrangstellung der Aristokratie mit mancherlei Privilegien, doch unter der politischen Aufsicht und Entscheidungsgewalt der Krone – sollte jetzt auch in Neapel und auf der Insel gelten. Das hieß konkret, dass die feudale Justiz und Verwaltung als Teil der monarchischen |130| Funktionen angesehen wurden; die Rechtsprechung des Adels geschah, so betrachtet, im Namen des Königs. Das war nicht nur eine reine Umetikettierung. Damit Jurisdiktion und Administration den damit verbundenen
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