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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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höheren Ansprüchen gerecht werden konnten, mussten neue Standards der Rechtspflege eingeschärft und überwacht werden. So wurde es den Feudalherren zur Pflicht gemacht, juristisch diplomiertes Personal einzustellen und über dessen Tätigkeit Rechenschaft abzulegen. Die neuen Regelungen führten ohne Frage zu einer gewissen Verrechtlichung, doch an den Herrschaftsverhältnissen änderte sich dadurch nichts. Im Gegenteil: Sie führten dem Feudalsystem neue Legitimation zu.

    |129|  Der Palazzo Chiaramonte-Steri gehörte einst der mächtigsten Adelsfamilie Siziliens, diente zeitweilig als Sitz des spanischen Vizekönigs sowie der Inquisition und beherbergt heute das Rektorat der Universität Palermo.
    |130| Das aber sahen die Barone erst mit einer gewissen Verzögerung ein. Am Anfang überwog die Furcht, zu königlicher Bürokratie abzusinken. So sprach das vom Adel beherrschte Parlament in Palermo 1516 – die Nachricht vom Tode König Ferdinands von Aragón war gerade eingetroffen – dem Vizekönig das Mandat ab und schürte einen Aufstand. Doch setzte sich bald genug die Einsicht durch, dass es sich auch mit den veränderten Verhältnissen leben ließ. Mit den neuen Aufsichtsgremien konnte man sich umso leichter arrangieren, als ihre Führungspositionen von Standesgenossen besetzt wurden – außer Adeligen selbst hatte in Spanien wie Sizilien niemand die nötige Autorität, um solche Ämter auszuüben. Deren Unterbau bildeten hier wie in Neapel Juristen stadtbürgerlicher Herkunft, doch waren diese, begierig darauf, selbst adelig zu werden, keine Konkurrenz, geschweige denn eine Bedrohung für die Elite. Und war einer der Vizekönige wirklich entschlossen, in die Phalanx der sizilianischen Adelsprivilegien größere Lücken zu schlagen, dann gab es dagegen ein probates Mittel. In diesen – sehr seltenen – Fällen richtete das Parlament eine unterwürfige Bitte an ihren Landesherrn in Madrid, den Stellvertreter des Monarchen, der dessen Majestät ausnahmsweise unwürdig repräsentiere, abzurufen und die Loyalität der Untertanen durch die Ernennung eines weniger eigennützigen Amtsträgers zu belohnen – ein Anliegen, dem fast immer Erfolg beschieden war. In solchen Konflikten gewährte die Krone ihren Emissären in Neapel wie Palermo kaum je die nötige Rückendeckung. Lieber einen Konflikt vermeiden und die dringend benötigten Steuereinnahmen garantieren als sich auf eine kostspielige Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang einlassen, so lautete das Motto.

    |131|  Die Lage von Palermo konnte es nach Ansicht vieler Reisender an Schönheit mit Neapel aufnehmen, so lieblich öffnete sich die Bucht und dahinter die „Goldene Muschel“ neben dem Monte Pellegrino; vgl. auch die Abbildung S. 163. Kupferstich aus Georg Braun und Franz Hogenberg, Civitates Orbis Terrarum, Köln 1572 –1618

|133| XII  Fragen der Ehre
    Diese beschönigend
donativo
, das heißt „Geschenk“, genannten Abgaben hatte das Parlament zu genehmigen und, sehr viel wichtiger, nach der Zustimmung umzulegen. Zu wessen Vor- bzw. Nachteil diese Verteilung vorgenommen wurde, ist aus seiner Zusammensetzung unschwer zu ersehen. Die erste Kammer (
brazo
, wörtlich „Arm“) bildete die hohe Geistlichkeit, der ungefähr 10 % des gesamten Grund und Bodens gehörten; im zweiten, „militärischen“
brazo
waren die Barone mit bewohnten Lehen vertreten, während den dritten „Arm“ die Eliten der großen Städte bildeten. Alle drei Kammern zusammen wälzten, wie im frühneuzeitlichen Europa üblich, die fiskalischen Lasten von sich auf die unterprivilegierten Schichten ab. Diese wiederum sahen sich nicht nur nicht verpflichtet zu zahlen, sondern sogar im Recht, wenn sie sich gegen die verhassten Steuereinnehmer gewaltsam zur Wehr setzten. Der „Staat“ war in den Augen der kleinen Leute eine
cosa nostra
der Reichen und Vornehmen. Von dieser Ablehnung blieb der ferne König in Madrid bezeichnenderweise ausgenommen; Aufstände richteten sich nie gegen ihn, sondern gegen seine Berater, Vertreter und Amtsträger, denen durchgehend Missbrauch der Macht für eigene Zwecke vorgeworfen wurde.
    Mit dem modernen Begriff „Korruption“ zu operieren, wird den Mentalitäten der Zeit dennoch nicht gerecht. Loyalität – das war die Grundüberzeugung aller Schichten – schuldete man Familie und Freunden, das heißt denjenigen, die im permanenten Kampf um Privilegien bzw. Schutz vor Willkür auf der eigenen Seite standen. Gelangten

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