Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
wo die liberale Verfassung von 1848 in Kraft geblieben war und daher ein Verfassungsleben mit Parlament existierte. Für dieses Modell der Einigung Italiens von Turin aus waren Ende der 1850er Jahre die Eliten zwischen Venedig, Mailand und Florenz mehrheitlich gewonnen, auch diejenigen, die ursprünglich dem demokratischen Einheitsgedanken Mazzinis angehangen hatten. Doch waren dessen Aufstände ebenso regelmäßig wie kläglich und blutig gescheitert. Der Anstoß zur Nationbildung – das war 1859 die vorherrschende Überzeugung – musste von oben kommen. Dieser Glaube wurde zur Gewissheit, als es Cavour gelang, den französischen Kaiser Napoleon III. für sein Projekt einer Einigung Oberitaliens unter piemontesischer Führung zu gewinnen. Napoleon der Kleine, wie ihn der oppositionelle Dichter Victor Hugo verspottete, war auf Prestigegewinn in der Außenpolitik angewiesen, um sein zunehmend bröckelndes Regime im Inneren zu stärken.
Und so schlugen die vereinten piemontesischen und französischen Armeen im Sommer 1859 die Österreicher, deren Herrschaft in Lombardo-Venetien an König Viktor Emanuel II. in Turin überging. Parallel dazu setzten die liberalen Honoratioren Mittelitaliens ihre fremden Herrscher ab und erklärten ihren Anschluss an das neue Italien. Cavour war am Ziel, so schien es. Was mit dem Kirchenstaat und dem Süden des Landes zu geschehen hatte, würde die Zukunft erweisen. Auf jeden Fall hatten sich sein Weg zur Einheit und sein politisches Modell, die nationale Monarchie mit Parlament, starker Exekutive, autoritärer Verwaltung und Wahlrecht für die winzige Minderheit von 2 % der am meisten Besitzenden, als konkurrenzlos erwiesen. Die Mazzinianer aber hatten auf der ganzen Linie verloren. So schien es.
Entsprechend groß war die Enttäuschung der demokratischen Kräfte. Doch zu kraftvoller Aktion raffte sich nur einer auf: Giuseppe Garibaldi. Dieser begabteste Guerillaführer des 19. Jh. hatte schon 1849 den militärischen Widerstand der römischen Republik gegen die übermächtige französische Armee geleitet, und zwar mit einem Heroismus, der die Bewunderung ganz Europas erregte. Im Frühjahr 1860 rief er die getreuesten seiner Freischärler erneut zu den Waffen, |179| um die Bourbonenherrschaft in Neapel und Sizilien zu stürzen. Das hatten in den 1850er Jahren schon andere Vertreter des linken Risorgimento vor ihm versucht – und waren kläglich gescheitert. Und auch auf die Aussichten von Garibaldis „Tausend“ (in Wirklichkeit etwas mehr als 1100 Mann), die sich am 4. Mai 1860 auf einem rostigen Schiff und schlecht bewaffnet Richtung Sizilien einschifften, hätte kaum jemand gewettet. Doch war der Zeitpunkt gut gewählt. In Sizilien hatte sich kurz zuvor wieder einmal eine Welle von Aufständen ausgebreitet, die zum nachgerade üblichen Kampf jeder gegen jeden abzusinken drohten. Mit dem Eintreffen des Expeditionskorps in Marsala am 11. Mai aber gewannen die Unruhen unversehens eine politische Perspektive, die für ganz unterschiedliche soziale Schichten verlockend schien. Kurz nach der Landung siegte Garibaldi, der sich zum Diktator im Namen König Viktor Emanuels erklärt und damit umfassende Vollmachten bis zum Abschluss seiner Mission in Anspruch genommen hatte, über die überlegene bourbonische Armee bei Calatafimi.
Der Feldzug Garibaldis in Sizilien (hier die Eroberung von Palermo am 27. Mai) verlieh der nationalen Einigung, die für viele Patrioten bislang allzu glanzlos verlaufen war, den notwendigen Heroismus. Gemälde von Giovanni Fattori (1825 –1908).
|180| Hundert Jahre nach Garibaldi zeigt „Il Gattopardo“, das Buch des Hochadelssprosses Giuseppe Tomasi di Lampedusa bzw. dessen Verfilmung durch Luchino Visconti (1963), eine ernüchternde Version der Ereignisse: Aus der Sicht des Fürsten muss sich alles ändern, damit alles gleich bleibt.
Damit war für die Eliten der Insel klar, dass seine Expedition kein zum Untergang verurteiltes romantisches Abenteuer, sondern eine seriöse Option für die Zukunft darstellte. Doch bevor sie Garibaldi Unterstützung gewährten, musste er ihnen weiter reichende Besitzstandsgarantien liefern. Das ging nicht ohne Widersprüche und Brüche ab. Der Führer der Freischaren hatte in hochtönenden Proklamationen nicht nur Freiheit, sondern auch Land für die Besitzlosen versprochen. Landarbeiter und städtische Tagelöhner glaubten ihm nicht nur, sondern wähnten endlich das Millennium gekommen und machten sich daran, die
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