Skagboys 01
nichts. Noch nich mal seine Schanklizenz ist er losgeworden.
— Das is jetzt n Witz, oder?!
— Ich wünschte, es wär einer, Rents. Janey is komplett geschockt, und die kleine Maria ist im Gerichtssaal zusammengebrochen und hat die Anwesenden beschimpft. Ihre Tante musste sie rausbringen. Der Richter saß die ganze Zeit über mit dieser versteinerten Visage da und kam zum Schluss mit seinem arroganten Gelaber an: Die Trinkerei sei an allem schuld, Gastwirte müssten sich ständig mit Trunkenbolden rumärgern, und Coke wär ein stadtbekannter Säufer gewesen. Die Familie is am Boden, Mark. Ich sag dir, das war der beschissenste Tag in meinem ganzen Leben …
Sick Boy erzählt und erzählt und erzählt. Ich hab Coke nicht wirklich gekannt, hab ihn aber immer nur als gut gelaunten, singenden Suffkopp erlebt. Ein bisschen heruntergekommen ab und an, aber niemals gewalttätig oder aggressiv. — Hört sich nach nem abgekarteten Spiel an, sage ich und schaue zu der Griechenmieze rüber, die mich über den Rand ihres Buches hinweg böse anfunkelt.
Als ich den Hörer auflege, bin ich ziemlich down. Ich gehe raus, eine Runde spazieren. Der erbarmungslose Regen hat sich in einen perlenartigen Nebel verwandelt, der die ganze Stadt einhüllt. Ich renne eine Ewigkeit durch die Gegend, die Kälte beißt sich in mein Gesicht. Dann gehe ich wieder zurück ins Wohnheim, wo Fiona in der Zwischenzeit aufgestanden ist und sich angezogen hat. Ich erzähle ihr von der Sache mit Coke. Sie meint, wir sollten eine Kampagne starten, um Gerechtigkeit für einen toten, arbeitslosen Alki zu fordern und im Vorbeigehen auch seinen Mörder – sprich: einen Ex-Bullen, Freimaurer und Kneipenbesitzer – sowie den mit ihm paktierenden Richter zu bestrafen.
Geduldig höre ich mir ihr Gerede an, schlucke ihre Kommentare runter und denke die ganze Zeit nur: So läuft es aber nich . Dann muss sie irgendwann los. Wir machen ab, dass ich später wieder zu ihr rüberkomme. Sie zieht sich ihren langen braunen Mantel an und streichelt mit ihren zarten Händen meinen Nacken. Ihre Augen sind nun so ruhig und tief, dass man sich für immer in ihnen verlieren könnte. — Wann willst du nachher rüberkommen?
Ich denke über diese einfache Frage nach, kann aber keine rechte Antwort finden. So wird sie immer größer und größer und scheint meine Gedanken auseinanderzureißen. Wann?
Anmerkungen zu einer Epidemie 3
I m Jahr 1827 übernahm Thomas Smith, ein Absolvent der renommierten Medizinfakultät der Edinburgh University, die Apotheke seines Bruders William und begann Feinchemikalien und Arzneimittel aus pflanzlichen Rohstoffen herzustellen. Zehn Jahre später lag das Hauptaugenmerk der Brüder auf Alkaloiden, genauer gesagt Morphin, das sie aus Opium extrahierten.
Der Edinburgher Chirurg John Fletcher Macfarlan kaufte 1815 eine Apotheke und begann, in beachtlichen Mengen Laudanum (Opiumtinktur) zu vertreiben. Etwas später stieg er in die Produktion von Morphin ein. Die Nachfrage nach diesem Medikament war stark angestiegen, da es dank der zunehmenden Verbreitung der Injektionsnadel direkt in den Blutkreislauf injiziert werden konnte und so weitaus effektiver wirkte als zuvor. Außerdem stellte er Anästhesiemittel (Ether und Chloroform) sowie Verbandsmaterialien her. Macfarlans Unternehmen begann schon bald zu florieren. 1840 eröffnete er eine Fabrik, und zur Jahrhundertwende war J. F. Macfarlan & Co. zum bedeutendsten Hersteller von Alkaloiden in Großbritannien aufgestiegen.
Beide Unternehmen vergrößerten sich kontinuierlich durch diverse Übernahmen und schlossen sich 1960 zur Macfarlan Smith Ltd. zusammen. Der Konzern wurde 1963 von der Glaxo Group übernommen und beschäftigt heute über zweihundert Arbeiter in seinen Edinburgher Produktionsstätten, die sich in der Wheatfield Road im Stadtteil Gorgie befinden.
Das Heroin, das in den frühen Achtzigerjahren die Straßen von Edinburgh überschwemmte, stammte nach Meinung vieler Sachverständiger aus den Produktionsstrecken für opiumbasierte Arzneimittel der besagten Fabrik und wurde über Sicherheitslücken hinausgeschmuggelt. Nachdem das Unternehmen diese Sicherheitsprobleme behoben hatte, wurde der große Heroinbedarf in Edinburgh mit billigen Opioid-Produkten aus Pakistan bedient, die mittlerweile auch das restliche Großbri tannien überflutet hatten. Anhänger von Verschwörungstheorien weisen darauf hin, dass dieses Überangebot an Heroin durch den massenhaften Import der Droge kurz
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