Skalpell Nr. 5
es nicht allzu schwierig werden.«
»Wenn ich ihn nicht finde, ist das auch kein Beinbruch. Dann hab ich eben einen Tag vertan.«
»Schlimmer«, sagte Manny. »Dann hast du eine Nacht vertan.«
Es war ein gewaltiger Heuhaufen. Jake saß im Bezirksarchiv und verfluchte sich selbst. Der Archivar von Baxter County hatte Dr. Harrigan gekannt und bewundert, und Harrigan hatte ihm ein paar nette Sachen über Jake erzählt. Deshalb hatte er, als Jake anrief und ihm erklärte, er müsse im Rahmen einer Mordermittlung die Adoptionsverzeichnisse durchsehen, auch keinerlei Einwände. Allein für das Jahr 1964 waren über zwölftausend Adoptionen verzeichnet. Wie soll ich denn das richtige Paar erkennen, selbst wenn ich es finde?, fragte Jake sich. Hatte Isabella Petes Nachnamen benutzt? Er versuchte es mit »Baby Harrigan«. Nichts. Die meisten Babys waren mit dem Vornamen aufgeführt. Er sah die Seiten durch und fand zwölfmal den Eintrag »Baby Joseph«, wobei er möglicherweise ein paar übersehen hatte. Dann suchte er nacheinander die jeweiligen Adoptiveltern heraus. Falls nötig, würde er sich mit allen in Verbindung setzen. Er holte sein Notizbuch hervor und notierte sich Namen und Anschriften.
Abbot, Cohen, Fronz, Giordano, Levine, McAuliffe, Murray, Pavlin, Rodgers, Snell, Tracy … Plötzlich hob er den Kopf und ließ den Stift fallen. Die Wahrheit traf ihn so unvermittelt, als hätte er mit einem Flugzeug die Schallmauer durchbrochen. Die übrigen Seiten des Verzeichnisses blätterte er rasend schnell durch, übersprang U und V
Und da war es. Baby Joseph.
Winnick.
Manny hatte die Nacht mit ihrem zweitbesten Liebhaber verbracht, Mycroft. Kenneth hatte ihren heiß geliebten Pudel von Rose abgeholt, und die beiderseitige Freude über ihr Wiedersehen hatte sich in einer Orgie von Küssen, Umarmungen und Entzückensschreien geäußert.
Jetzt fühlte sie sich ausgeruht, ihr Bein verheilte gut, und sie würde sich endlich mal wieder ihrer eigenen Arbeit widmen. Heute Vormittag war nämlich im Fall Martin der Einigungstermin, und der konnte nicht verschoben werden. Kenneth hatte schon früh angerufen, um sie daran zu erinnern, nicht zu spät zum Gericht zu kommen. Er würde die Akte aus dem Büro mitbringen.
Das Telefon klingelte, als sie gerade zur Tür hinauswollte.
»Ms. Manfreda?«
»Am Apparat.«
»Hier spricht Lawrence Travis von der Gerichtsmedizin. Dr. Rosen hat von außerhalb angerufen. Er entschuldigt sich dafür, dass er sich nicht persönlich bei Ihnen meldet, aber er ist an einem Tatort, wo sein Handy keinen Empfang hat. Er möchte Ihnen etwas Wichtiges zeigen und Sie anschließend zum Abendessen ausführen. Er schlägt vor, dass Sie ihn gegen sechs im Bellevue Hospital treffen.«
Der Gerichtstermin müsste gegen drei zu Ende sein. Den Rest des Nachmittags wollte sie dann Liegengebliebenes aufarbeiten.
»Kein Problem. In seinem Büro?«
»Verzeihung, Ms. Manfreda, was haben Sie gesagt?«
»Wo will er sich mit mir treffen? In seinem Büro?«
»In der Leichenhalle. Er sagt, er ist auf etwas gestoßen, das für den Knochenfund wichtig ist. Keine Ahnung, um was es geht, aber er hat gesagt, Sie wüssten Bescheid.«
»Alles klar.«
In der Leichenhalle. Na toll.
Dora und Joseph Winnick wohnten in einem kleinen, aber gepflegten, frisch gestrichenen Haus auf einer bescheidenen Farm in Hillsdale, New York, keine vierzig Meilen von Albany entfernt. Dank der genauen Wegbeschreibung, die sie ihm gegeben hatten, fand Jake es ohne Probleme. Als er sie angerufen und seinen Namen genannt hatte, war er mit einer Hochachtung begrüßt worden, als wäre er die Königin von England. Wallys Chef? Sie hatten ja schon so viel über ihn gehört; Wally war noch nie so zufrieden oder so erfüllt gewesen. Dr. Rosen sei bei ihnen herzlich willkommen. Leider könnten sie ihm auf die Schnelle nur einen einfachen Salat zum Lunch anbieten, war das genehm?
Das war mehr als genehm, hatte er ihnen versichert, doch als er ankam, erwartete ihn ein regelrechtes Festmahl: Hähnchen, Aufschnitt und Käse, dazu Gemüse, Radieschen, Pilze, eingelegte Gurken, köstliches Brot und selbst gebackener Apfelkuchen, der noch ofenwarm war.
Wunderbare Menschen, dachte Jake, gerührt von all der Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Kein Wunder, dass Wally so freundlich und großzügig war. Während des Essens beantwortete er zunächst geduldig ihre vielen Fragen. Erst nachdem er eine zweite Portion von dem Kuchen verputzt hatte, gelang
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