Skalpell Nr. 5
lief zu der Tiefgarage, wo er einen Stellplatz hatte. »Ich hab was im Auto vergessen«, erklärte er dem erstaunten Parkhauswächter. »Ich hol’s mir rasch.«
»Dr. Rosen, Sie wissen doch, das ist gegen die Vorschriften. Ich muss es für Sie ho …«
Aber Jake rannte schon an ihm vorbei die Rampe hinunter. Er entdeckte seinen klapprigen alten Olds umzingelt von neuen ausländischen Autos, und als er sich zwischen ihnen hindurchschlängelte, stieß er sich schmerzhaft das Schienbein, ohne jedoch darauf zu achten. Er öffnete die Beifahrertür, klappte das Handschuhfach auf und tastete darin herum. Ganz hinten fand er etwas, womit er tagtäglich zu tun hatte, was aber noch nie so wichtig war wie heute: einen Beweismittelbeutel.
Er zog ihn heraus. Pete hatte ihm einen Brief hinterlassen.
27
D r. Henry Ewing musste inzwischen weit über achtzig sein, hatte Manny ausgerechnet, er sah aber eher aus wie sechzig. Als er sich erhob, um ihr die Hand zu geben, war seine schlanke Gestalt kerzengerade, das Gesicht schimmerte rosig, und sowohl Schuhe als auch Fingernägel waren auf Hochglanz poliert. Jetzt saß er wieder hinter seinem Schreibtisch, und Manny hatte davor Platz genommen.
»Ms. Manfreda, Sie haben meiner Sekretärin gesagt, es handele sich um einen Notfall«, sagte er, »aber Sie scheinen bei bester Gesundheit zu sein. Ich habe extra einen Termin für Sie freigemacht, aber falls Sie lediglich hier sind, um irgendwas zu verkaufen –«
»Oh nein, es ist wirklich ein Notfall.« Manny hatte vom ersten Moment an eine tiefe Abneigung gegen den Mann empfunden. Sie betrachtete ihn aufmerksam und beschloss, ihn zu überrumpeln. »Ich komme auf Empfehlung von Dr. Peter Harrigan.«
Unter Ewings linkem Auge zuckte ein Muskel. Er nahm eine Büroklammer aus einer Schale auf dem Schreibtisch und begann, damit zu spielen. Kein schlechtes Ablenkungsmanöver, aber nicht überzeugend. »Von Dr. Harrigan hab ich schon seit Jahrzehnten nichts mehr gehört. Seltsam, dass er mich empfohlen hat.« Erwischt. An dem Montag vor Harrigans Tod hat er noch mit ihm gesprochen.
»Aber Sie waren doch mal Kollegen, nicht wahr?«
Er zuckte die Achseln. »Vor vierzig Jahren. Er war einer meiner Mitarbeiter.«
»Dann sind Sie der richtige Dr. Ewing. Ich interessiere mich nämlich für die Zeit vor vierzig Jahren.« Ich habe schon zähere Zeugen als den vernommen. Die Büroklammer hat er schon ruiniert. Der Mann ist ein Weichei. »Wissen Sie, ich bin beauftragt worden, die Umstände des Todes eines gewissen Lieutenant James Albert Lyons zu untersuchen.«
Kein Zucken, kein Blinzeln. »Nie gehört. Ich weiß nicht, von wem Sie reden.«
Sie wurde deutlicher. »Mag sein, dass Sie den Namen nicht kennen, aber an die Umstände erinnern Sie sich bestimmt. Er war einer von mindestens vier Patienten – vielleicht waren es ja auch noch mehr –, die in Ihrer Obhut gestorben sind. Die Mordwaffe, die Sie bei ihm benutzt haben, waren Experimente mit Elektroschocks. Er starb an Genickbruch.«
Volltreffer! Der Hass in seinen Augen hätte sogar Asbest zum Glühen gebracht. Sie machte weiter. »Aber wenn Sie ihn vergessen haben, dann sagt Ihnen vielleicht der Name Isabella de la Schallier etwas. Diese Frau haben Sie nämlich mit Meskalin getötet, soweit ich weiß. Aber ich hätte da mal eine Frage, die mir keine Ruhe lässt: Wieso haben Sie damals beschlossen, ihr Baby zu retten? Sie können es entweder mir sagen oder der Polizei.«
Er sah ihr offen ins Gesicht. »Ich werde nicht zulassen, dass Sie mir in meinem hohen Alter noch den Ruf ruinieren. Es ging nicht darum, Menschen umzubringen, Ms. Manfreda. Und Babys erst recht nicht.«
»Dann waren es also Unfälle? Unglückliche Folgen von wichtigen Versuchen, die die Regierung in Auftrag gegeben hatte? Experimente an Menschen?«
»Ja.«
»Ein Patient starb an Strontiumvergiftung. War Ihnen nicht klar, was passiert, wenn Sie jemandem Strontium-90 verabreichen?«
»Für das Strontium-90 war Dr. Harrigan zuständig. Er hat es den Patienten in unterschiedlichen Dosierungen mit den Frühstücksflocken verabreicht.«
»Und das Meskalin?«
»Damit wollte Harrigan nichts zu tun haben. Er hat sich geweigert. Ein anderer Arzt hat das übernommen.«
»Auf wessen Anweisung hin?«
Er sah aus wie ein gebrochener Mensch. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Die Anweisung kam von Ihnen, nicht wahr?«
»Nein.«
»Okay, dann gaben Sie die Anweisung auf Anweisung von weiter oben.«
Er
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