Skandal im Ballsaal
versorgt worden. Lord und Lady Marlow schwanden bald aus ihrem Gedächtnis (aber der kommende Morgen sollte größtenteils mit der Abfassung eines Briefes angenehm verbracht werden, der berechnet war, einen gefährlichen Rückfall im Gesund-heitszustand Seiner Lordschaft zu verursachen) und auch der junge Mr Orde. Was Lady Ingham verwirrte, war die Stellung, die Sylvester in diesem aufregenden Drama eingenommen hatte. Die Rolle eines deus ex machina, die er gespielt zu haben schien, sah ihm keineswegs ähnlich; noch konnte sie sich vorstellen, dass er, wie sie meinte, in tiefster Verwahrlosung lebte und seine Zeit zwischen den Ställen und einem Krankenzimmer verbrachte. Tatsächlich war die einzig vernünftige Sache, die er getan zu haben schien, die, Phoebe zu ermutigen, in der Green Street Zuflucht zu suchen. Das, dachte Mylady entrüstet, klang sehr wahrscheinlich! Sie zweifelte auch nicht, dass er es aus reiner Bosheit getan hatte. Nun, er würde bald entdecken, dass er sich gewaltig geirrt hatte. Sie freute sich, Phoebe willkommen zu heißen. Sie wunderte sich, dass sie nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen war, nichts konnte die unerträgliche Langeweile, an der sie mitunter litt, besser vertreiben als eine lebhafte Enkelin. Phoebe bei sich aufzunehmen war jedenfalls den Strapazen einer Reise nach Paris vorzuziehen; ein Plan, über den sie immer wieder zweifelnd nachgedacht hatte, seit eine ihrer Busenfreundinnen von dort geschrieben hatte und sie drängte, ebenfalls in diese reizendste aller Hauptstädte zu kommen. Sie war versucht gewesen, aber es gab schwerwiegende Nachteile bei diesem Plan. Es würde bedeuten, sich aus der Reichweite des lieben Sir Henry zu begeben; Muker würde sicher dagegen sein; und was immer die arme Mary Berry als Gegenteil anführen mochte, Myladys unabänderliche Überzeugung lautete, die Begleitung eines Mannes sei für jede Dame unentbehrlich, die ins Ausland reisen wolle. Man konnte bekanntlich einen Reisemarschall in Dienst nehmen, aber das erhöhte bloß die Ausgaben, da noch ein weiterer Mann notwendig wäre, um ein aufmerksames Auge auf die Tätigkeit dieses Mietlings zu werfen. Nein: Auf jeden Fall würde es besser sein, Phoebe aufzunehmen und zu versuchen, was sie für das Kind erreichen konnte.
Hatte sie sie einmal anständig ausstaffiert, wäre es bestimmt amüsant, wenn es ihre Gesundheit zuließ, sie in die Gesellschaft einzuführen.
An dieser Stelle hielten Myladys Gedanken inne. Sie hatte nicht die Absicht, Phoebe zu gestatten, der Welt zu entsagen (wie es Phoebe vorgeschlagen hatte), aber obwohl es ihrer Gesundheit zuträglich sein mochte, das Kind auf ein oder zwei private Bälle zu begleiten, konnte nichts dafür nachteiliger sein als endlose, in den Tanzsälen des Almack-Clubs oder auf Gesellschaften verbrachte Abende, die von Gastgeberinnen veranstaltet wurden, mit denen sie kaum bekannt war. Aber darüber grübelte sie nur einen Augenblick lang nach; Witwe Ingham erinnerte sich an die Existenz ihrer freundlichen Schwiegertochter. Rosina, die zwei Töchter zu begleiten hatte, konnte sehr gut noch eine Nichte unter ihre Fittiche nehmen; diese Vereinbarung würde ihr kaum etwas ausmachen.
Das war eine einfache Sache und bald einzurichten; weitaus wichtiger und weitaus schwieriger war das Rätsel von Sylvesters Benehmen zu lösen.
Er wollte ihr einen Besuch abstatten. Sie hatte diese Botschaft mit dem äußersten Anschein von Gleichgültigkeit aufgenommen, aber die Ohren gespitzt. Er wollte also kommen? Nun, er würde ihr zwar keineswegs genehm sein, aber wenn er wirklich kam, würde sie ihn freundlich aufnehmen.
Wenn sie ihn sah, konnte sie vielleicht herausfinden, was für ein Spiel er trieb. Seine Handlungen ließen sie vermuten, er habe sich in Phoebe verliebt und wäre geneigt, sich ihr von der angenehmsten Seite zu zeigen. Aber wenn man Phoebes Bericht von den Ereignissen während seines Aufenthaltes auf Austerby glauben sollte, konnte man sich schwer vorstellen, was ihn an ihr bezaubert haben sollte. Lady Ingham glaubte nicht, dass er mit dem Vorsatz nach Austerby gekommen sei, an allem, was er dort sah, Gefallen zu finden, denn sie war sich wohl bewusst, dass sie sich in seiner Behandlung etwas geirrt und ihn gereizt hatte. Als sie das Zornesfunkeln in seinen Augen bemerkte, war es sehr fraglich, ob sie die Angelegenheit weitertreiben oder sie ruhen lassen sollte. Sie hatte sich für den kühneren Weg entschieden, weil er ihr sagte, es wäre
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