Skandal im Ballsaal
verdanke mir deinen Besuch auf Austerby. Das Ganze tut mir leid, Sylvester, und ich denke umso besser von dir, da du sie zu mir geschickt hast, obwohl ich nicht zweifle, dass du dich über mich geärgert hast. Wohlgemerkt, hätte ich gewusst, dass sie dich schon getroffen hat und dich nicht mochte, ich hätte das nie getan! Doch es macht nichts aus, und es ist nicht nötig, wieder daran zu denken. Sie will nicht, und du kannst mir glauben, ich auch nicht. Nun, da ich sie besser kenne, weiß ich, ihr würdet überhaupt nicht zueinander passen. Ich würde mich nicht wundern wenn sie so schwer zufriedenzustellen sein sollte wie ihre Mutter."
Die Antwort auf diese Rede blieb ihm erspart, als Phoebe wieder ins Zimmer zurückkehrte. Er erhob sich, um Abschied zu nehmen, und sagte, als er Phoebe die Hand schüttelte: „Ich hoffe, wir treffen einander bald wieder. Sie werden alle Bälle besuchen, nehme ich an. Ich wage kaum, Sie zu fragen - wenn ich Sie wirklich bei Almack geschnitten habe! -, ob Sie mit mir zum Tanz antreten wollen?"
„Ja, natürlich", erwiderte sie. „Es wäre von mir nicht sehr höflich, abzulehnen, nicht wahr?"
„Ich hätte es wissen können!", rief er aus. „Wie konnte ich so ein Schwachkopf sein, Ihnen die Chance zu bieten, mir einen Ihrer Dämpfer zu versetzen?"
„Das habe ich nicht!", protestierte sie.
„Dann möge mir der Himmel helfen, wenn Sie es tun!", sagte er. „Auf Wiedersehen! Werden Sie nicht zu höflich, nicht wahr? Aber ich brauche darum nicht zu bitten: Sie werden es nicht!"
Bevor Phoebe Sylvester wieder traf, war sie einem anderen Mitglied seiner Familie begegnet: Als sie ihre Großmutter auf einem Morgenbesuch begleitete, lernte sie Lady Henry Rayne kennen.
Mehrere Damen hatten sich an diesem Tag entschlossen, die alte Mrs Stour aufzusuchen, aber die jüngere Generation war nur durch Lady Henry und Miss Marlow vertreten. Lady Henry, von ihrer Mama mitgebracht, langweilte sich so von Herzen, dass sie sogar den Eintritt eines unbekannten Mädchens als Erleichterung empfand. Sie ergriff die erste sich bietende Gelegenheit, ihren Sitz mit einem neben Phoebe zu tauschen, und sagte mit ihrem hübschen Lächeln: „Ich glaube, wir sind einander schon begegnet, nicht wahr? Nur bin ich zu dumm, um mich an Namen zu erinnern!"
„Nun, bestimmt nicht", antwortete Phoebe mit ihrer üblichen Aufrichtigkeit. „Ich wurde Ihnen nicht vorgestellt und habe Sie bloß zweimal im Leben gesehen. Einmal in der Oper, aber zum allerersten Mal vergangenes Jahr auf dem Ball von Lady Jersey. Ich fürchte, der Umstand, dass ich Sie so unhöflich anstarrte, veranlasste Sie zu glauben, wir hätten einander getroffen! Aber Sie sahen so wunderschön aus, ich konnte meine Augen nicht abwenden! Ich bitte um Verzeihung. Sie müssen mich für sehr ungezogen halten."
Es war nicht außergewöhnlich, dass Janthe an dieser Rede nichts Unverschämtes fand. Ihre eigenen Worte waren eine bloße Eröffnung der Konversation gewesen; sie erinnerte sich nicht, Phoebe vorher gesehen zu haben, sagte aber:
„Wirklich nicht! Es tut mit leid, dass wir einander bis heute nicht vorgestellt wurden. Ich bin nicht so oft in London."
Sie fügte mit einem gedankenvollen Lächeln hinzu: „Ich bin Witwe, wissen Sie."
„Okay!" Phoebe war ehrlich bestürzt. Es schien unfassbar, denn sie hatte angenommen, Janthe sei kaum älter als sie selbst.
„Ich war fast noch ein Kind, als ich verheiratet wurde", erklärte Janthe. „Ich bin nicht so sehr alt, obwohl ich schon seit mehreren Jahren Witwe bin!"
„Ich dachte, Sie wären in meinem Alter!", sagte Phoebe freimütig.
Es brauchte nicht mehr, um diese Freundschaft zu besie-geln. Janthe, die über das Missverständnis lachte, enthüllte ihr, ihr einziges Kind sei sechs Jahre alt. Phoebe rief: „Oh nein! Unmöglich!", und nahm ganz ohne ihr Wissen die Rolle einer innig Vertrauten an. Sie erfuhr innerhalb von zwanzig Minuten, dass Janthe von der Familie ihres Gatten das Leben einer Einsiedlerin aufgezwungen worden war, und dass man von ihr erwartete, sie verbringe den Rest ihrer Witwenschaft in ländlicher Abgeschiedenheit.
„Ich frage mich, warum Sie sich solchen barbarischen Vorstellungen unterwerfen sollten!", sagte Phoebe ganz entsetzt.
„Ach, es gibt da eine Person, die eine Waffe hat, der gegenüber ich machtlos bin!", sagte Janthe melancholisch. „Er ist der alleinige Gebieter über das Geschick meines armen Kindes. Die Dinge wurden so hinterlassen, dass ich mich
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