Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
in ein granatrotes Seidengewand gekleidet, extravagant wie immer. Eine Frau, die ihr Zuhause, ihre Freunde, ihre Schützlinge im Stich ließ. »Guten Abend, Mary. Wie ich sehe, komme ich gerade rechtzeitig, um das Bild zurechtzurücken.« Sie beschwichtigte Anne mit einer Geste. »Reg dich nicht auf. Es ist das Beste, dass sie es von uns beiden erfährt.«
Anne verschluckte etwas – wahrscheinlich ihre Wut – und sagte: »Richtig. Ich habe gerade berichtet, dass du Veränderungen wünschst: männliche Agenten und deine Kontakte ins Parlament.«
»Lass es doch nicht so unappetitlich klingen.« Felicity wandte sich an Mary. »Alles ist doch im Wandel begriffen, Mary: London. Die Politik. Die Gesellschaft. Das Empire. Alles außer der Agentur. Ich mache mir Sorgen, den Anschluss zu verpassen.
Wie du weißt, sind Anne und ich in dieser Sache uneins. Diese Trennung hat sich schon seit einiger Zeit angekündigt – ich bitte um Entschuldigung, dass du davon so überrumpelt wirst –, und ich habegehofft, dass sie mit möglichst wenig Zerrüttung und Groll vonstattengeht.« Sie sah Anne vielsagend an. »Aber ich nehme an, es ist immer schwierig, eine langjährige Zusammenarbeit zu beenden.«
Das gefiel Mary gar nicht. Natürlich schockierte es sie, dass es Veränderungen in der Agentur geben würde. Doch besonders missfiel ihr die Art der Aus einandersetzung zwischen Anne und Felicity, die sich angifteten wie alberne Mädchen, statt wie zwei intelligente Erwachsene zu diskutieren. »Ich dachte, die Agentur sei ein Kollektiv«, sagte sie. »So haben Sie sie mir schon beschrieben, ehe ich mit der Ausbildung angefangen habe.«
Anne nickte. »Du hast recht. Aber im Laufe der Jahre haben Mrs Frame und ich die leitende Position übernommen. Wir halten den Kontakt mit den Kunden, setzen Verträge auf, erledigen die ganzen Hintergrundnachforschungen.«
»In der Praxis«, fiel ihr Felicity ins Wort, »liegt es an uns, ob wir neue Wege beschreiten oder weitermachen wie bisher.«
»Hätten Sie nicht alle Agentinnen um ihre Meinung bitten sollen? Es ist nicht richtig, uns im Dunklen zu lassen und uns dann mit dieser Trennung vor vollendete Tatsachen zu stellen.« So scharf hatte sie die Leiterinnen noch nie angegriffen; hätte es sich vor einer Stunde noch nicht träumen lassen.
Anne lächelte verkniffen. »Du hast recht, Mary. Genau so hätten wir uns verhalten müssen, wenn uns die Reichweite von Mrs Frames Sinneswandelklar gewesen wäre. Ich selbst schäme mich und bin enttäuscht darüber, wie die Sache gelaufen ist.«
Felicity runzelte flüchtig die Stirn, dann machte sie ein reuevolles Gesicht. »Mein liebes Mädchen, so ist das mit Trennungen: Sie kommen unerwartet und sind nicht wieder zu kitten. Manchmal sind sie sogar unvermeidlich. Aber du hast ganz recht damit, dass es euch Agenten freisteht zu wählen. Und darum will ich die Sache jetzt erklären.
Ich verlasse also die Agentur und baue eine eigene Geheimorganisation auf. Wie Anne bestimmt schon erwähnt hat, wird diese Organisation die geheimdienstliche Arbeit anders angehen – Männer werden nicht ausgeschlossen, sondern als Verbündete behandelt; und das Einsatzgebiet soll auch erweitert werden.
Als voll ausgebildete Agentin kannst du frei wählen, ob du hier in der Agentur bleiben willst, die weiter von Anne gleitet wird, oder ob du lieber mit mir kommst. Du musst dich natürlich nicht sofort entscheiden.«
Bei Felicity klang es so einfach. Und doch bedeutete ihr Vorschlag nichts weniger als Zerstörung – eine Aushöhlung der Gründungsprinzipien der Agentur. Wenn es Felicity wirklich um die Sache ging, war es erstaunlich, dass sie so lange bei der Agentur geblieben war.
»Wir können uns natürlich denken, dass du Fragen hast«, sagte Anne. Sie schien sich jetzt beruhigt zu haben, nachdem die Neuigkeit heraus war. Vielleichtwar sie sogar erleichtert über Felicitys eindeutige, sehr offene Erklärung, die viel mehr über Felicity selbst aussagte als über diese neue, zwielichtige rivalisierende Agentur.
Mary hatte viele Fragen – allerdings andere, als Anne sich vorstellte. Nachdem der erste Schreck verdaut war, erinnerte sie sich an die ersten Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden. Die Streitereien hatten mit dem Fall vom St. Stephen’s Turm angefangen, wie Anne gesagt hatte. Mary als zwölfjährigen Jungen verkleidet auf eine Baustelle zu schicken, war schon eine große Ausnahme für die Agentur gewesen,
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