Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
hätte«, sagte Mary. »Sein Gedächtnis kam ganz unerwartet zurück.«
»Nun. Ich freue mich zu hören, dass sich dieser Fall so glücklich hat aufklären lassen«, sagte Felicity. »Ich muss gleich gehen – ich habe eine Verabredung –, aber du hast jetzt etwas Zeit gehabt, um über deine Entscheidung nachzudenken, Mary. Obwohl wir dich nicht unter Zeitdruck setzen wollen, würden wir deine Entscheidung gerne so bald wie möglich hören.«
Trotz ihrer Worte war klar, dass Felicity eine sofortige Antwort erwartete. Auch für Anne schien das selbstverständlich zu sein. Aber ihre Ansichten waren jetzt so unterschiedlich – so gegensätzlich sogar –, dass die Wahl einer Leiterin und das Ablehnen der anderen einem Glaubensbekenntnis gleichkam.
Mary gefiel das nicht. »Was ist mit meinem derzei tigen Kontakt? Sie wissen ja beide, dass ich wieder mit James Easton in Verbindung stehe. Wie ist Ihre jeweilige Meinung dazu?« Sie bedauerte die Frage, ehe sie ganz ausgesprochen war. Sie wollte nicht über James nachdenken. Wenn es ihr gelang, ihrem Vaterzur Flucht zu verhelfen, würde sie ihn niemals wiedersehen. Wenn es ihr misslang, erst recht nicht.
Die Frage erstaunte keine der Leiterinnen. Sie warfen sich einen Blick zu und nach einer kurzen Pause sagte Anne: »Meine Liebe, diese Zufälle, die dich und Mr Easton zusammengebracht haben, häufen sich erschreckend. Ich würde vorschlagen, ihm eine glaubhafte Erklärung zu geben – das Vortäuschen journalistischer Arbeit wird auf die Dauer nicht ausreichen –, ehe du diese Verbindung endgültig beendest. Mir ist klar, dass das heikel werden kann, aber es ist unerlässlich für deine Tarnung. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass du eine Zeit lang im Innendienst arbeitest, bis wir genau beurteilen können, welche Bedrohung Mr Easton für deine Arbeit darstellt.«
Ein Lächeln umspielte Felicitys Lippen. Sie sah aus wie ein Schachmeister, kurz bevor er seinen Gegner mattsetzt. »Und ich, meine Liebe, glaube, dass Mr Easton, wenn er richtig eingesetzt wird, keinerlei Bedrohung bedeutet – weder für dich noch für meine Organisation. Ganz im Gegenteil: Wenn du mir in diese neue Agentur folgst, meine Liebe, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mir helfen könntest, Mr Easton für uns zu gewinnen. Meiner Meinung nach ist er sehr geeignet für eine Arbeit wie die unsere. Es wäre mir ein Vergnügen, ihn aufzufordern, bei uns anzuheuern.«
Die Vorschläge hätten nicht unterschiedlicher sein können. Die Spannung im Raum, die so heftig war wie bei einem Gewitter, strafte ihr heiteres Aussehenund Gebaren Lügen. Schließlich erwiderte Mary: »Danke. Ich lasse Sie meinen Entschluss wissen, sobald ich ihn getroffen habe.« Sie hielt inne. Dann, um ihre Täuschung weiter aufrechtzuhalten, fragte sie: »Miss Treleaven, darf ich mein Zimmer hier in der Akademie vorerst behalten?«
Anne nickte, vielleicht ernüchtert von Marys Unentschlossenheit. »Du kannst dein Zimmer so lange behalten, wie du Mitglied der Agentur bleibst, Mary.«
Aha? Und wenn sie sich für Felicity entschied, war sie wohl von dieser abhängig, was eine Bleibe betraf? Auf einmal konnte Mary das Büro nicht schnell genug verlassen. Felicity war jedoch schneller. »Nimm meine Karte«, sagte sie zu Mary. »Du kannst jederzeit Kontakt mit mir aufnehmen.«
»Danke«, sagte Mary automatisch. Sie steckte die Karte in ihre Handtasche, ohne sie anzusehen.
»Ach so!« Anne sprang auf. »Das hätte ich fast vergessen.«
Mary sah fasziniert zu, wie Anne in ihren Aktenstapeln herumwühlte. Noch nie zuvor hatte sie Anne
wühlen
sehen. Es war, als ob man einen Pastor flu chen hörte.
»Hier.« Anne reichte ihr einen Briefumschlag. »Er ist eben angekommen, bevor ich dich angetroffen habe.« Sie schwieg, dann fügte sie hinzu: »Durch Sonderboten.«
So viel konnte Mary schon sehe: Es war keine Briefmarke auf dem Umschlag. Er fühlte sich steif an und war aus dickem, cremefarbenem und teurem Papier.
Sie konnte sehen, wie Felicity den Kopf verrenkte, um das Siegel auf der Rückseite besser erkennen zu können. Mary hatte jedoch keine Lust, die eine oder die andere davon wissen zu lassen. »Danke«, sagte sie wieder und neigte den Kopf zu einem Lebewohl. »Guten Tag.« Es war eine bedeutungslose Floskel – doch heute wirkte sie trotzdem fehl am Platz. Kaum hatte sie sie ausgesprochen, klang sie wie Hohn und Lüge.
Beides traf irgendwie zu.
Dreiunddreißig
Donnerstagabend
Limehouse
S
Weitere Kostenlose Bücher