Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
blickte, die ein paar Zentimeter vor ihr lag, oder in einen weiteren endlosen Tunnel. Mary sah sich die Absperrung stirnrunzelndan. Sie würde ohne Schwierigkeit eine der Planken entfernen können, überlegte sie, indem sie dagegentrat. Doch sie würde sie nicht unauffällig wiederanbringen können.
Trotzdem waren die Planken aufschlussreich. Sie waren neu und robust, nicht alt und morsch. Sie waren nicht mal schmutzig. Jemand war in den letzten Monaten hier gewesen und hatte es wohl für nötig gehalten, den Tunnel abzusperren. Irgendjemand hatte den Tunnel von der anderen Seite betreten. Und als sie aus einem anderen Winkel durch die Planken spähte, sah sie, dass jemand ein Schild angebracht hatte, auf dem stand:
Sie sah sich erneut in dem Raum um. Es gab keine offensichtlichen Gefahrenquellen, das war eindeutig, außer man vermutete verschüttetes Gift. Oder dass der Tunnel einstürzte.
Plötzlich lief ihr ein leichtes, aber spürbares Kribbeln über den Rücken – und es hatte nichts damit zu tun, dass sie womöglich in einer unterirdischen Falle saß. Sie wandte sich wieder dem Schild zu und sah die Buchstaben stirnrunzelnd an. Es war natürlichschwer zu sagen, wenn man rückwärts bei Kerzenlicht lesen musste – und sie hatte wenige Beispiele seiner Handschrift gesehen und nie in Blockschrift. Trotzdem war etwas an der Ausformung der Buchstaben, das sie aufmerksam werden ließ. Sie spürte, wie es sie heiß überlief. Ein Gefühl des Grauens. Ein Pulsieren in den Ohren, in der Kehle, das von ihrem Puls kam. Alles nur beim Gedanken an diesen Mann.
Sie lehnte sich an die Wand und fühlte sich plötzlich matt. Das war ja eine Krankheit, dass sie an den unmöglichsten Orten an James Easton dachte. Aber hinter diesem Unbehagen stand das Wissen, dass er ja tatsächlich unter dem Palast arbeitete. Mühevoll verdrängte sie den Gedanken und sah ihre Kerze an: fast niedergebrannt. Sie seufzte – dann überlegte sie. Schloss die Augen, denn plötzlich dämmerte es ihr. Wie dumm, dass sie nicht eher darauf gekommen war.
Das
war der Ursprung des feuchten, fast metallischen Geruchs: Sie hatte gerade die unterirdische Kanalisation betreten.
Es war wärmer, als sie erwartet hatte. Und roch auch weniger schlimm. Die Luft war nasskalt, aber nicht erstickend und ekelerregend. Die Themse roch tagtäglich schlimmer als dieser Abwasserkanal. Hier, an einem Punkt des unermesslichen Labyrinths von Tunneln, sah Mary ihre Felle davonschwimmen. Der Fall hatte sie eingekreist.
Wieder blickte sie auf das Schild. Jetzt, da sie wusste, wo sie sich befand – wusste, dass das Schild von ihm sein musste –, kam es ihr seltsam vor, dasssie überhaupt an der Handschrift gezweifelt hatte. Aber jetzt, zu dieser späten Stunde, konnte sie nicht weiter darüber nachdenken. Sie musste gehen – zu Bett, um möglichst zu schlafen –, und dann irgendwann über die beiden unausweichlichen Aufgaben nachdenken, die vor ihr lagen.
James Easton.
Lang Jin Hai.
Mit beiden Männern musste sie in naher Zukunft reden. Sie konnte sich nichts vorstellen, was sie mehr wollte – oder weniger.
Zwölf
Valentinstag
Buckingham-Palast
D er Morgen kam viel zu schnell, aber Schlaf hatte sich nicht einstellen wollen. Mary lag die ganze kalte Nacht wach, lauschte Amys Schnarchen und dem gedämpften Schlagen einer Standuhr in der Nähe, die jede Viertelstunde anzeigte. Um sechs Uhr schleppte sie sich aus dem Bett, innerlich völlig erschöpft. Auch körperlich war sie etwas mitgenommen. Der Weißdorn hatte seine Spuren hinterlassen, nämlich einige tiefe Kratzer auf ihren Handrücken und einen am Hals. Sie verzog das Gesicht beim Anblick ihres Spiegelbildes. Ihre dunklen Augenringe wurden noch unterstrichen durch die Verzerrungen von Amys billigem Spiegel, der ihr Kinn übergroß erscheinen und ihre Stirn schrumpfen ließ. Sie hatte immer davon geträumt, ihren Vater wiederzutreffen. Nun, da die Möglichkeit bestand, sah sie wie ein Gespenst aus und er saß in einer Gefängniszelle. Perfekt.
Während die Königin frühstückte, musste Mary ihre Privaträume putzen und lüften. Sie hockte am Boden und entzündete ein frisches Kaminfeuer, alsdie Tür aufging. Bestimmt Mrs Shaw, die sie mal wieder kontrollierte. Doch als Mary aufstand und sich umwandte, war es gar nicht Mrs Shaw.
»Ah, na so was – bist du das, Mary? So heißt du doch, oder?«
Erschrocken starrte sie in das verlegene Gesicht des Prinzen von Wales. Knickste
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