Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
Seine zukünftige Stellung spielte dabei im Moment keine Rolle. Mit seinen blutunterlaufenen Augen und den hängenden Schultern war er einfach nur ein junger Mann, der unter der Missbilligung seiner Familie und unter seinem schlechten Gewissen litt.
Sie kniete sich neben den Sessel. »Aber, aber«, murmelte sie und wie aufs Stichwort fiel der Prinz in sich zusammen. Tränen quollen ihm aus den Augen und rannen ihm in kleinen Bächen über die Wangen. Mary spürte seinen Atem auf ihren Fingern, die er ergriffen hatte, und sein Körper wurde geradezu geschüttelt.
In dieser peinlichen Stellung – er drückte ihren Arm wie eine Lieblingspuppe an sich – verharrten sie ein paar Minuten. Dann, als käme er wieder zu sich,ließ er sie los, lehnte sich in seinen Sessel zurück und versuchte, seine Tränen zu trocknen.
Mary kramte nach einem Taschentuch. Nie hatte sie ein sauberes Taschentuch. Doch Seine Hoheit schüttelte schon den Kopf, seufzte auf und bemühte sich, die Fassung wiederzuerlangen. Sein künstliches Lächeln war grotesk – eher wie eine angsteinflößende Maske als wie ein menschliches Antlitz. Aber immerhin versuchte er es. Er fand selbst ein Tuch aus feinster Seide mit Monogramm – so unendlich viel besser als ihr Fetzen eingesäumter Baumwolle – und wischte sich die Tränen ab. Als er sich schnäuzte, trompetete er so laut, dass sie zusammenzuckte.
»Ich entschuldige mich.« Er warf einen Blick auf ihren feuchten Arm. »Für alles, meine ich.«
»Keine Ursache.« Das kam reflexartig – was hätte sie sonst sagen sollen? –, aber Mary meinte es auch so.
Er schwieg einen Augenblick. »Es ist ziemlich erbärmlich, was ich da gemacht habe, nicht? Dich zu einem vertraulichen Gespräch herzubitten. Als ob dir eine Wahl bliebe. Du stehst schließlich auf der Lohnliste meiner Familie.«
»Nein«, sagte Mary rasch. »So muss es nicht sein.«
Prinz Bertie sah sie durch seine hervorstehenden, rot geränderten Augen an. »Wirklich?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin einfach jemand, dem Sie über den Weg gelaufen sind. Wirklich, es war purer Zufall, dass ich vorhin im Salon Ihrer Majestät war. Es hätte auch jedes andere Hausmädchen sein können.«
Er sah zu Boden und wirkte fast verlegen.
»Vergessen Sie, dass ich das Zimmermädchen bin. Wenn Sie mit jemandem reden wollen, höre ich zu.« Die Worte kamen ihr ein wenig seltsam vor. Das war eine ganz neue Rolle für sie: die mitfühlende Vertraute. Und sie hatte ja ihre eigenen, nicht völlig loyalen Motive, diese Rolle zu spielen: Sie redete mit einem Augenzeugen – dem wichtigsten Augenzeugen – von Beaulieu-Buckworths Tod. An was mochte er sich wohl erinnern oder was konnte er versehentlich aufdecken? Sie durfte sich nicht zu große Hoffnungen machen. Aber immerhin war sie hier.
Der Blick des Prinzen glitt zu ihr zurück. »Es ist kein sehr königliches Verhalten … und kein männliches – Seine Königliche Hoheit der Prinzgemahl wäre entsetzt.« Ein tiefes Aufseufzen. »Aber ist das vielleicht was Neues? Vater ist von allem, was ich mache, entsetzt.«
Mary blieb stumm. Es war eine seltsame, einseitige Vertraulichkeit. Er war so labil, so kindisch – wenn sie ihn auch nur im Geringsten drängte, konnte er sich einen Moment später gegen sie wenden. Was sowieso möglich war, wenn sie ihm nicht helfen konnte.
Er sank tiefer in seinen Ohrensessel. »Was redet man denn so beim Personal?« Er sah sie zögern und zwang sich zu einem unbeschwerten Lächeln. »Ich sage keinem, was du mir erzählst. Versprochen.«
Mary wusste nur zu gut, dass sie sich darauf nicht verlassen konnte; ein Nachhaken von Königin Victoria und der Prinz würde alles ausplaudern. Nichtsdestoweniger …»Alle sind ziemlich verwirrt. Sie wissen, dass was Schlimmes passiert ist, aber keiner weiß genau, was.«
»Ach komm … irgendwelche Mutmaßungen muss es doch geben, selbst in einem so strengen Haushalt wie diesem.« Sein Lächeln war echter, nachdem er sich jetzt auf vertrautem Boden befand: betteln, nörgeln, necken. »Redet ihr Mädchen denn nicht über uns?«
»Keine Ahnung, Sir, Tratsch ist ja streng verboten.« Mit einem kleinen Lächeln milderte sie ihre ablehnende Antwort. »Aber ein oder zwei Leute haben fallen lassen, dass Sie normalerweise während des Semesters nicht nach Hause kommen.«
»Haben Sie eine Vermutung, warum ich hier bin?«
Sie riss unschuldig die Augen auf. »Das hätten sie sich niemals
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