Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
unflätigsten Worten, die Mrs Shaw kannte, entlassen wurde, doch sie konnte ihnen keine Aufmerksamkeit schenken. Es war nicht typisch für James, in Panik zu geraten, doch jetzt war er völlig durcheinander. »Wie kann ich helfen?«
Er sprach leise. »Such die Königin auf. Sag ihr, dass sie den Palast evakuieren lassen muss. Zuerst die königliche Familie, aber auch sämtliche Angestellten. Ihr seid alle in großer Gefahr.«
Sie starrte ihn mit trockenem Mund an. Er meinte es todernst. Mrs Shaw war ihnen auf den Gang gefolgt. Sie stand hinter ihm und fuhr mit ihrer Tirade über Marys zahlreiche Vergehen und Unzulänglichkeiten fort.
James ergriff ihre Ellbogen und zog sie näher. »Mary, bitte. Die Zeit reicht nicht für das übliche Prozedere. Es hängt alles von dir ab.«
Er sah nicht aus, als habe er den Verstand verloren. Aber trotzdem … »James, ich brauche einen Grund. Ich kann die Königin nicht einfach bitten, etwas zu tun, so ganz ohne Erklärung.«
»Du bittest sie nicht, du ordnest es an. Ich habe soeben Sprengstoff in dem unterirdischen Tunnel gefunden: kistenweise Nitrocellulose. Die Königin muss sofort hier raus und dann die Armee rufen, damit die das Zeug entsorgt.«
Mary nickte. »Wie weit muss sie sich entfernen?«
»Ich weiß nicht genau. Mindestens eine Meile.«
»Ich werde vorschlagen, dass sie sich in den Kensington Palast begibt. Noch etwas?«
»Nein. Doch. Du begleitest sie! Warte, bis ich Entwarnung gebe.«
Fast musste sie darüber lächeln. »James, das hört sich sicher albern an, aber – pass auf dich auf.«
Ein kurzes Lächeln. Ein noch flüchtigerer Kuss, mitten auf dem Gang, vor Mrs Shaws Nase. »Du ebenfalls.« Dann war er fort.
»Gefeuert! Hast du mich verstanden, Quinn? Pack deine Sachen, jetzt auf der Stelle!«
Mary machte kehrt und rannte den Gang entlang. Es war Teestunde. Ihre Majestät würde in ihrem Privatsalon sein, zwei Stockwerke und den halben Palast entfernt. »Quinn! Du gehst in die falsche Richtung!«
Sie schenkte der armen, überreizten Mrs Shaw einen kurzen Blick. »Ja, Ma’am.«
Ihr Auftauchen vor Ihrer Majestät war ein wenig besonnener: Sie betrat den Privatsalon raschen Schrittes und mit gesenktem Blick und machte einen tiefen Hofknicks. Dennoch runzelte Königin Victoria die Stirn und zwei stämmige Lakaien packten sie. »Das verstößt gegen sämtliche Regeln«, sagte die Königin.
»Ich bitte um Verzeihung, dass ich bei Ihnen eingedrungen bin, Euer Majestät. Ich habe es nur getan, weil es um die Sicherheit der Nation geht.« Mary hob den Blick – wenn auch nicht den Kopf – und sah, wie die Königin sie anstarrte. Honoria Dalrymple stand in einer Ecke des Raumes, wie festgenagelt vom plötzlichen Auftreten Marys.
»Fahre fort.«
Mary seufzte fast vor Erleichterung. »Euer Majestät, der Bauingenieur, der den Auftrag hat, die Tunnel unter dem Palast instand zu setzen, hat eine ernste Gefährdung entdeckt. Damit Ihnen nichts zustößt, müssen Sie den Palast sofort verlassen.«
Die Königin starrte sie ein paar Sekunden an. »Wir sind von den Palastwachen nicht über eine Gefahr informiert worden. Worum handelt es sich?«
»Nitrocellulose, auch unter der Bezeichnung Schießbaumwollebekannt, Euer Majestät. Baumwolltücher, die mit Salpetersäure getränkt sind. Eine äußerst explosive Substanz.« Ihre Unterweisung bezüglich Sprengstoffen war kurz gewesen, aber doch ausreichend, um die Gefahr von Nitrocellulose zu kennen und zu fürchten. Bangen Herzens dachte sie daran, dass James wieder in die Tunnel gestiegen war. Sie durfte nicht weiter daran denken oder sich das Schlimmste ausmalen.
»Unmöglich!« Dieser erstickte Ausruf erklang hinter der Königin. Honoria Dalrymples Haut war aschfahl, sie hatte die Augen erschrocken aufgerissen.
»Leider nicht, Ma’am. Mr Easton, der Bauingenieur, ist äußerst zuverlässig. Er sagt, hier sei die Armee gefragt.«
»Lasst uns allein«, sagte Ihre Majestät.
Mary spürte, wie einer der Lakaien an ihrer Schulter zog. »Bitte, Euer Majestät, ich versichere Ihnen –«
»Du nicht«, sagte die Königin. »Wir meinten die anderen.« Honoria und die zwei Lakaien glotzten sie an.
»Aber Euer Majestät, das ist eindeutig …«
Sogar die beiden Lakaien machten ihren Standpunkt klar, indem sie Mary näher zur Tür zerrten.
»Lasst diese Person los und geht hinaus. Die Zeit drängt.«
Zögernd und wie gelähmt verließen die drei den Raum. Kaum fiel die Tür hinter ihnen ins
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