Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
Worten folgte ein leichtes Lufteinziehen.
Es reichte, um Mary zurückblicken zu lassen. James stand mit dem Rücken zur Wand, der Lauf der Pistole war gegen seine Stirn gedrückt. Wintermarch hatte die Laterne so angehoben, dass das Licht auf das Metall und auf James’ trotzige Miene fiel.
»Raus mit dir, Bursche!«, rief Wintermarch so laut in den Tunnel, dass es widerhallte. »Zeig dich oder dieser unverfrorene Draufgänger stirbt.« Er hielt inne, dann setzte er noch hinzu: »Und ich schieße weiter. Dann wird entweder die Schießbaumwolle explodieren oder dieser marode Ziegelhaufen wird über dir zusammenbrechen. Egal was, dann seid ihr beide tot.«
»Sie reden mit dem Echo«, sagte James. Er klang eher wütend als ängstlich. »Zeitverschwendung.«
Ein verhaltenes, unangenehmes Kichern. »Werden wir ja sehen.« Wintermarch drehte den Kopf in Marys Richtung und spannte den Hahn. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als sie es sah, und ein schwaches Lächeln erschien auf dem Gesicht des alten Mannes. »Zeig dich. Ich zähl bis fünf.«
»Eins.«
»Zwei.«
Er meinte es ernst. Was hatte sie doch gesagt in Bezug auf Verrückte?
»Drei.«
»Vier.«
»Nicht schießen.« Ihre Stimme war heiser, und einen schrecklichen Augenblick lang dachte sie, dass er sie nicht gehört hatte. »Ich komme.«
»Verdammt, Mary, lauf weg!«, rief James, ungeachtet der Pistole, die an seinen Kopf gedrückt wurde.
Doch Wintermarch lachte nur. »Wie ich vermutet habe. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich nicht mit einer Frau gerechnet habe.« Er drehte sich nach Mary um. »Zeigen Sie sich, Miss!«
»Sie hat nichts getan. Lassen Sie sie bitte gehen.« In James’ Stimme lag ein leichtes Beben, das sie mehr rührte als jede Liebeserklärung.
Mary kletterte hinunter. Trotz des eiskalten Knotens im Inneren war sie erfüllt von Neugier. Was um Himmels willen hoffte der Graf von Wintermarch zu erreichen? Es verstieß gegen jede Logik. Sie ging auf die beiden Männer zu und trat in den Lichtkegel. Der Graf trug wieder, wie sie bemerkte, eine Laterne aus geschliffenem Glas, die eine Art verrücktes Markenzeichen zu sein schien. »Hier bin ich, Euer Lordschaft.«
Wintermarchs Augenbrauen, dick wie zwei behaarte Raupen, schossen nach oben. »Sie haben ja anscheinend schon alles durchschaut, was, Miss?«
Sie neigte den Kopf ein wenig – als Imitation vonHonorias hochnäsiger Art. »Graf von Wintermarch natürlich. Vater der Ehrenwerten Honoria Dalrymple, Hofdame Ihrer Majestät. Und gar nicht so entfernt verwandt mit dem Ehrenwerten Ralph Beaulieu-Buckworth.«
Der alte Mann grinste tatsächlich. »Zu Ihren Diensten. Sie werden mir verzeihen, wenn ich mich nicht nach Ihren Namen erkundige; der Pöbel interessiert mich nicht sehr.«
Mary trat vor, sodass sie neben James zu stehen kam und sie Wintermarch nun gemeinsam gegenüberstanden. »Wir gehören vielleicht zum Pöbel, aber wir haben Ihr Komplott aufgedeckt. Sie kommen zu spät, müssen Sie wissen – der Palast ist seit fast einer Stunde evakuiert. Die Königin ist in Sicherheit.«
Das faltige Gesicht zeigte Belustigung. »Unsinn. Die unfähige alte Kröte könnte sich niemals so schnell in Bewegung setzen.«
»Haben Sie denn nicht von Mrs Dalrymple Nachricht erhalten?«, fragte Mary ziemlich erstaunt. »Selbst die Dienstboten sind entkommen.«
Auf einmal wurde er unwillig. »Genug des Geplänkels. Vorwärts.« Er schwenkte die Pistole in Richtung Sprengstoffkammer.
»Was hoffen Sie damit zu erreichen, einen leeren Palast in die Luft zu jagen?«, fragte James, während sie sich in Bewegung setzten. Es war ein seltsamer Todesmarsch: Sie begleiteten einen bewaffneten Wahnsinnigen, der eine offene Flamme trug, und gingen auf einen Raum mit Sprengstoff zu.
»Ich bin nicht hier, um Ihre Neugier zu befriedigen«, höhnte Wintermarch.
»Sie haben nicht die geringste Lust, mit Ihrem schlauen Plan anzugeben?«, wollte Mary wissen. Sie fühlte sich betrogen. Wenn sie schon sterben musste, wollte sie zumindest noch ein paar Fragen beantwortet haben. Sogar mehr als betrogen, sie war wütend. Sie würde hier im Abwasserkanal sterben, durch die Laune eines schwachköpfigen Aristokraten, dem es egal zu sein schien, ob er selbst überlebte oder nicht. Ihr Tod würde keinem was nützen, keine Bedeutung haben.
Als Antwort schwenkte er die Pistole. »Hinauf!«
Erst zog sie selbst sich hoch, dann folgte James. Der Graf blieb im Tunnel und grinste höhnisch zu ihnen hinauf.
»Soll ich
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