Skandal um Lady Amelie
Unhöflichkeit entspringt. Wurden die Damen Ihnen nicht vorgestellt?“
Nein, wichtig war es nicht, indes er konnte die Tatsachen ebenso gut gleich erfahren und aus ihrem Munde. „Gewiss, beim Kirchgang wurden wir einander vorgestellt.“ Natürlich würde er mehr hören wollen.
„Und dennoch kein freundliches Nicken, kein Lächeln? Glauben Sie, dass man Sie schneiden wollte?“
Sie seufzte und musterte ihn und seinen hübschen Bruder bedächtig. „Sie und Lord Seton werden wohl bald herausfinden, dass Sie sich keinen Gefallen tun, wenn Sie sich in unserer Gesellschaft zeigen. Vielleicht in London, wo man relativ anonym ist, doch nicht hier in Richmond. Wissen Sie, wir sind nicht bon ton .“
„Ah, ja?“, entgegnete Lord Elyot. „Wie interessant! Nun, möglicherweise sollten mein Bruder und ich rasch die Flucht ergreifen, doch mir ist danach, Näheres zu hören.
Erzählen Sie uns, sind Sie etwa verkappte Straßenräuber? Oder entflohene russische Prinzessinnen?“
Zwar lagen seine Augen im Schatten der Hutkrempe, doch in Amelies Kopf spukte immer noch der Blick, mit dem er sie gestern angeschaut hatte; sie brachte es nicht über sich, ihm ins Gesicht zu sehen. „Nein, so dramatisch ist es nicht“, erwiderte sie. „Sie müssen wissen, wir sind aus dem Norden, Sir, und schlimmer noch, meine Familie ist in der Fabrikation engagiert. Im Handel , frei heraus gesagt. Da, ich habe es ausgesprochen, das schlimme Wort. Ich werde mir den Mund spülen müssen, und Sie, meine Herren, sollten sich besser eilig entfernen. Wir werden es Ihnen nicht übel nehmen. Einen guten Tag, Gentlemen.“
„Warten Sie!“ Lord Elyots befehlende Worte hielten sie zurück. „Bitte“, fügte er ein wenig schuldbewusst hinzu.
Als sie verstohlen aufblickte, bemerkte sie, dass die beiden Brüder breit grinsten. „Sie lächeln, doch die reizenden Richmonder Bürger nehmen solche Dinge sehr ernst, wie Sie wissen. Milde Exzentrizitäten wie Blumenzeichnen in der Öffentlichkeit mögen durchgehen, doch Verbindungen zum Handel sind unverzeihlich. Und dann noch die nördliche Abstammung … nichts als Bergwerke und Fabriken und schreckliche Dialekte – und wenn auch Miss Chester und ich nicht als Beweis dafür herhalten können, so haben manche Menschen dort gar zwei Köpfe oder drei. Können Sie sich das vorstellen?“
Er konnte ihr Gesicht nicht gut sehen, wenn er sich nicht mit unschicklicher Neugier vorwärtsbeugen wollte, doch als sein Bruder die Pferde ein paar Schritte vorwärtstrieb, konnte er sehen, dass ihre sarkastische Rede ihr die Röte auf die Wangen getrieben hatte und ihre wunderschönen Augen zornig funkelten. Offensichtlich kochte tief gefühlte Wut unter den spaßhaft-ironischen Bemerkungen; sie war nicht ganz so willfährig und gefällig, wie er sie am Tag zuvor eingeschätzt hatte, noch war sie eine fehlgeleitete, töricht handelnde Frau – obwohl ihn das Retikül, das nun in seinem Besitz war, zu dieser Vorstellung verleitet hatte.
Ebenso deutlich merkte man der hübschen Nichte ihren Schrecken an; sie sah wohl bei den Worten ihrer Tante alle ihre Hoffnungen schwinden. Hier lag also der Grund, aus dem die Damen sich in den letzten Wochen dem gesellschaftlichen Parkett ferngehalten hatten, und deshalb war die Kleine so wild darauf, mit dem erstbesten einigermaßen ansprechenden Beau anzubandeln. Noch ehe Amelie geendet hatte, war ihm das Lachen vergangen.
„Nur schwer“, gab er auf ihre Frage zurück. „Doch verstehe ich recht, Madam, dass Sie nach Aufnahme in die Richmonder Gesellschaft streben?“
Ihre Stimme klang nicht mehr so scharf. „Nicht, was mich betrifft, Mylord. Ich kam nicht deshalb her, ich strebe nicht nach Anerkennung. Es gibt genügend interessante Beschäftigungen für mich. Meine Herren, ich wünsche Ihnen einen guten Tag.“
Ohne ihnen Gelegenheit zur Antwort zu geben, rief sie Riley zu, die Pferde loszulassen, ließ die Peitsche mit präzisem Schwung über deren Köpfen knallen und fuhr so forsch an, dass der arme kleine Bursche nur durch einen gewaltigen Sprung seinen Platz hinten auf dem Wagen sichern konnte.
„Hui, Sie sind aber eilig, M’lady!“
„Ja! Wie kommen wir am schnellsten hier fort?“
„Dachte, Sie wollen nach Kew?“
„Nicht mehr! Rasch, rechts oder links?“
„Links! Und sachte, sonst landen wir im Graben.“
„Unsinn! Und wenn du dich nicht halten kannst, spring ab und geh zu Fuß.“ Riley grinste. „Ja, M’lady!“ Aber eher wäre er gestorben.
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