Skandal um Lady Amelie
Umzug aus dem Norden.“ Sein Lächeln sagte, dass er sich an die Warnung erinnerte, ihre Gesellschaft zu meiden. „Übrigens fühle ich mich keineswegs abgestoßen“, fügte er hinzu.
„Wenn das auch auf Lord Seton zutrifft, wird meine Nichte erfreut sein“, entgegnete sie mit einem Blick auf die beiden, die sich lebhaft wie alte Bekannte unterhielten.
„Und Sie, Madam?“
„Hatte ich das nicht deutlich gemacht? Nicht um mich ist mir zu tun, sondern um meine Nichte, deren Freunde leider in ihrer Heimat zurückgeblieben sind.“
„Sie sind überaus ehrlich. Doch der Name Carr ist dort im Norden nicht unbedeutend, das weiß ich. Gehören Sie zufällig zu den Carrs aus Manchester?“
„Robert Carr war mein Vater, er gehörte zu der Carr-Dynastie und war Teilhaber der Baumwollmanufakturen, Sir.“
„Ah ja. Und der Name Chester?“
„Sir Josiah Chester war mein Gatte. Ein Bankier. Miss Chester ist die älteste Tochter seines Bruders.“
Ganz kurz flackerte Erstaunen in seinen Augen auf, er nahm sich jedoch sofort zusammen und setzte wieder seine Miene zustimmender Bewunderung auf, was Amelie jedoch irrtümlich als das übliche Interesse interpretierte, das entstand, wenn von beträchtlichem Vermögen die Rede war. Nicht dass es sie enttäuscht hätte – ein Mann, dem nichts an Reichtum lag, wäre eine Ausnahmeerscheinung.
„Sie haben also in Manchester gelebt, Madam?“
„Sowohl in Manchester als auch in Derbyshire, zuletzt in dem Ort Buxton. Ich mochte dort nicht länger bleiben.“ Ihr wurde bewusst, wie negativ das klang. „In Buxton hatte Sir Josiah sich niedergelassen. Es ist ein hübscher Ort. Viele Leute besuchen ihn wegen der Heilquellen, doch er ist klein, kleiner als Richmond, und es gibt viel Tratsch und Hochmut, was mir zuwider ist, und viele Einschränkungen für Menschen meiner Art. Deshalb suchte ich mich zu verändern und wählte Richmond wegen seiner Nähe zu … aber ich schweife ab; ich will Sie nicht langweilen, Sir.“
„Aber Sie langweilen mich nicht, Lady Chester, nicht im Mindesten. Doch Sie sagten letztens, dass Ihre Nachbarn sich bisher nicht die Mühe machten, Visitenkarten zu senden. Es ist traurig, überrascht mich aber nicht sehr, da man hier aus Vorsicht sehr viele Vorbehalte hegt. Mit Ausnahmen allerdings.“
„Und die sind?“
„Wir, mein Bruder und ich. Die Marchioness of Sheen ist hier die tonangebende Gastgeberin, weilt allerdings zurzeit in London, und ich vermute, dass man abwartet, ob Sie, Madam, deren Billigung finden. Was für uns natürlich unwesentlich ist.“
„Die Billigung der Marchioness benötige ich nicht, Sir. Sie scheint recht unliebenswürdig zu sein, und davon habe ich vorerst zur Genüge genossen.“
Darüber lächelte Lord Elyot nur. „Darf ich mich erkundigen, wie lange Sie verheiratet waren, Madam?“
„Zwei Jahre. Warum fragen Sie?“
„Sie müssen eine sehr junge Braut gewesen sein.“
„Aber nicht töricht, Sir. Ich kann sehr gut selbst für mich sorgen.“
„Auch für Ihre Nichte? Immerhin sagen Sie, dass es Ihnen um deren Wohl geht.“
Amelies Schal war ihr von den Schultern geglitten und entblößte einige bläuliche Male auf der samtigen Haut ihres Arm. Ohne Hast zog sie den Stoff wieder höher, während sie flüchtig zu Caterina schaute. „Die Verpflichtung meiner Nichte und ihrem Vater gegenüber kann ich nicht abstreiten. Gewiss haben Sie bemerkt, dass sie sich nach der Gesellschaft junger Leute sehnt. Doch leider ist die Saison schon vorbei, und auch die nächste wird nicht erfolgreich sein, falls sich unsere Lage hier nicht ändert. Dass es so schwierig wäre, Kontakte zu knüpfen, hatte ich nicht geahnt. Nun, vielleicht hätte ich mich auch stärker bemühen müssen.“
„Sie kamen nicht mit Empfehlungen Ihrer Bekannten?“
„Nein, darum hatte ich mich nicht bemüht.“
„Ah so. Dann haben Sie hier bei uns auch noch nie die Abendgesellschaften im Castle Inn besucht?“
Amelie machte große Augen. „So etwas gibt es? Davon wusste ich nichts.“
„Gerade heute Abend findet eine statt, es ist eine bescheidene Angelegenheit, doch stets gut besucht und durchaus ehrenwert. Wir haben sogar einen Zeremonienmeister, ein sehr guter Mann, der keinen ohne Billet einlässt. Mein Bruder und ich haben Quartalskarten. Falls Sie glauben, dass es Miss Chester gefallen könnte, und mit Ihrer Erlaubnis, Madam, wären wir entzückt, Sie als unsere Gäste betrachten zu dürfen.“ Den letzten Teil des Satzes richtete er
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