Skandal
unschuldige junge Frau für seine Zwecke zu mißbrauchen. Aber Simon stellte fest, daß ihm diese Vorstellung keinerlei Probleme bereitete. Nicht im geringsten.
Und überhaupt war die Dame, falls die Gerüchte der Wahrheit entsprachen, keineswegs ganz so unschuldig.
Eisige Zufriedenheit machte sich tief in seinem Innern breit, als Simon schnell wieder zu dem Landhaus seiner Gastgeber zurückritt. Nach dreiundzwanzig Jahren des Wartens waren die St. Clair Hall und seine Rache endlich in Reichweite gerückt.
Emily Faringdon wußte, daß sie verliebt war. Sie war dem Objekt ihrer Zuneigung noch nie persönlich begegnet, doch das verminderte ihre Gewißheit nicht im entferntesten. Sie wußte aus seinen Briefen, daß Mr. S. A. Traherne ein Mann war, mit dem ihre Seele auf einer höheren Ebene kommunizierte. Er war ein vorbildlicher Mann, ein verständnisvoller Mann mit großer Sensibilität, ein Mann, der Phantasie und Intelligenz besaß, ein Mann, der einen starken Charakter hatte.
Kurz gesagt, er war nahezu perfekt.
Es war ein Jammer, daß die Chancen, sie könnte ihn je persönlich kennenIernen, ganz zu schweigen davon, sie könnte eine romantische Liaison mit ihm eingehen, unendlich viel schlechter standen als die Chancen beim Glücksspiel.
Emily seufzte, setzte ihre Brille mit dem silbernen Gestell auf und zog S. A. Trahernes Brief aus dem Stapel von Briefen, Zeitungen und Zeitschriften, die mit der Morgenpost gekommen waren. Im Laufe der allerletzten Monate war sie sehr gut darin geworden, Trahernes schwungvolle kühne Handschrift und sein ungewöhnliches Siegel mit dem Drachenkopf sofort zu erkennen. Ihre ausgedehnte Korrespondenz und viele Subskriptionen auf den verschiedensten Gebieten führten immer dazu, daß sich eine Menge Post auf dem riesigen Mahagonischreibtisch stapelte, aber einen Brief von S. A. Traherne entdeckte sie trotz der Unordnung sofort.
Sie setzte den Brieföffner mit größter Behutsamkeit ein, um das kostbare Siegel nicht zu beschädigen. An einem Schreiben von S. A. Traherne war alles sehr wichtig und es wert, für immer in einer speziellen Schachtel aufbewahrt zu werden, die Emily für diesen Zweck erworben hatte.
Sie brach gerade behutsam das rote Wachssiegel, als die Tür der Bibliothek aufging und ihr Bruder in das Zimmer geschlendert kam.
»Guten Morgen, Em. Ich sehe schon, daß du wie üblich hart am Arbeiten bist. Ich weiß einfach nicht, wie du das anstellst, meine liebe Schwester.«
»Hallo, Charles.«
Charles Faringdon drückte seiner Schwester einen schnellen Kuß auf die Wange und ließ sich dann anmutig auf den Stuhl sinken, der ihr gegenüber an dem breiten Schreibtisch stand. Er bedachte sie mit dem sorglosen und gewinnenden Lächeln, das ein Markenzeichen der Männer des Faringdon-Clans war, während er seine elegant gekleideten Beine übereinanderschlug. »Ich wüßte natürlich nicht, was wir alle täten, wenn du nicht diese Freude daran hättest, dich hier einzugraben und über all dieser widerlichen, langweiligen Korrespondenz zu hocken.«
Widerstrebend legte Emily den Brief von S. A. Traherne auf ihren Schreibtisch und schob unauffällig die neueste Ausgabe von The Gentleman’s Magazine darüber. Trahernes Briefe waren private und persönliche Gegenstände, die man nicht offen herumliegen ließ, denn dort hätten sie das beiläufige Interesse eines der anderen Familienmitglieder auf sich ziehen können.
»Du scheinst bester Laune zu sein«, sagte sie leichthin. »Ich vermute, du hast dich von dem Schlag deiner letzten Spielverluste erholt und planst, bald wieder in die Stadt zu fahren?« Sie schaute ihren gutaussehenden Bruder durch die runden Brillengläser an und nahm eine vertraute Mischung aus Gereiztheit und Zuneigung bei sich wahr.
Emily liebte Charles, wie sie auch seinen Zwillingsbruder Devlin liebte und ihren unbeschwerten, geselligen Vater. Aber man kam einfach nicht um die Tatsache herum, daß die Einstellung der männlichen Faringdons einen gewissen Hauch von verantwortungslosem und lässigem Leichtsinn verriet, und das konnte manchmal außerordentlich nervenaufreibend sein. Sogar ihre wunderschöne Mutter, die vor sechs Jahren gestorben war, hatte häufig darüber geklagt.
Dennoch mußte Emily zugeben, daß die Faringdons mit Ausnahme von ihr selbst, die in dem Punkt wirklich weit aus dem Rahmen fiel, ein gutaussehender Haufen waren.
Heute morgen sah Charles in seiner Reitkleidung wieder einmal umwerfend aus. Seine Jacke war von Weston
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