Skandal
geschneidert worden. Das wußte Emily, weil sie gerade erst die Rechnung bezahlt hatte.
Seine Hose war glänzend geschnitten und stellte seinen prachtvollen Körperbau bestens zur Schau. Seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert, so daß sich Emily fast darin spiegeln konnte.
Charles war ein typischer Faringdon, großgewachsen und mit so hellem Haar, daß es in der Sonne wie Gold aussah, und mit Augen von der Bläue eines Sommerhimmels. Neben den Zügen eines jungen Adonis besaß er auch noch den Charme der Faringdons.
»So ist es, ich habe mich recht gut erholt«, versicherte ihr Charles vergnügt. »In ein paar Minuten breche ich nach London auf. Ein schöner Tag für einen Ritt. Falls du irgendwelche Anweisungen für Davenport hast, übermittele ich sie ihm gern. Ich muß in Windeseile in die Stadt, damit ich noch vor der Post dort ankomme. Darauf habe ich nämlich mit Pearson eine Wette abgeschlossen.«
Emily schüttelte den Kopf. »Nein. Heute nichts für Mr. Davenport. Vielleicht nächste Woche, wenn ich von meinen Briefkontakten aus Essex und Kent die Neuigkeiten über ihre Pläne für die Bohnenernte im Sommer bekomme und einige Entscheidungen treffen werde.«
Charles rümpfte seine hübsche Nase. »Bohnen. Wie kannst du dich bloß mit Dingen wie der Bohnenproduktion beschäftigen, Emily? Das ist doch verflucht langweilig.«
»Auch nicht langweiliger als die Einzelheiten über Eisenherstellung, Kohlegewinnung und Weizenernte«, gab sie zurück. »Mich überrascht, daß du nicht selbst etwas mehr Interesse an diesen Angelegenheiten zeigst. Alles, was dir im Leben Spaß macht, von deinen schicken Stiefeln bis hin zu dem edlen Jagdpferd, das du letzten Monat gekauft hast, ist eine direkte Folge davon, daß man sich mit den Einzelheiten von Dingen wie der Bohnenproduktion auseinandersetzt.«
Charles grinste, gab sich mit einer Handbewegung geschlagen und stand auf. »Keine Strafpredigten mehr, Em. Die sind noch langweiliger als Bohnen. Und überhaupt ist das Jagdpferd ein ganz unglaubliches Tier. Vater hat mir geholfen, ihn im Tattersaal auszusuchen, und du kennst ja Vaters ausgezeichnetes Auge für Vollblüter.«
»Ja, aber es war ein furchtbar teures Jagdpferd, Charles.«
»Du mußt in dem Pferd eine Geldanlage sehen.« Charles gab ihr wieder einen schnellen Kuß auf die Wange. »Also, wenn es nichts an Davenport auszurichten gibt, mache ich mich auf den Weg. Wir sehen uns dann wieder, wenn ich mich von den Spieltischen ausruhen muß.«
Emily lächelte sehnsüchtig zu ihm auf. »Grüße an Papa und Devlin. Ich wünschte fast, ich käme mit dir nach London.«
»Unsinn. Du sagst doch immer, daß du hier auf dem Land am glücklichsten bist, wo du den ganzen Tag über jede Menge zu tun hast.« Charles schlenderte zur Tür. »Und überhaupt haben wir heute Donnerstag. Du hast heute nachmittag doch ein Treffen mit deiner literarischen Gesellschaft, oder nicht? Das willst du dir doch sicher nicht entgehen lassen.«
»Nein, wohl kaum. Auf Wiedersehen, Charles.«
»Auf Wiedersehen, Em.«
Emily wartete, bis sich die Tür der Bibliothek hinter ihrem Bruder geschlossen hatte, ehe sie The Gentleman’s Magazine von S. A. Trahernes Brief nahm. Sie lächelte vor heimlichem Genuß, als sie begann, die elegante Schrift zu lesen, mit der das große Blatt Papier bedeckt war.
Meine liebe Miss Faringdon,
ich fürchte, es wird nur eine kurze Nachricht, aber ich bete darum, daß Sie mir meine Hast verzeihen werden, wenn ich Ihnen mitteile, weshalb dies so ist. Ich werde auf dem Landsitz von Lord Gillingham zu Gast sein, der, soweit ich weiß, einer Ihrer Nachbarn ist. Ich vertraue darauf, daß Sie es nicht als eine allzu große Kühnheit ansehen, wenn ich Ihnen mitteile, wie sehr ich hoffe, daß Sie die
Güte besitzen werden, mir, solange ich dort bin, Gelegenheit zu geben, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.
Emily erstarrte vor Schreck. S. A. Traherne kam nach Little Dippington. Mit einem Herz, das vor Aufregung raste, nahm sie zitternd den Brief und las die ersten Zeilen erneut.
Es stimmte. Er würde bei den Gillinghams zu Gast sein, die nicht weit von der St. Clair Hall eine Villa auf dem Lande hatten. Mit bebenden Fingern legte Emily den Brief behutsam ab und zwang sich, mehrfach tief Atem zu holen, um die Woge der Aufregung zu glätten, die über sie hinwegspülte.
Diese Aufregung war von Grauen durchsetzt.
Der Teil ihres Innern, der danach gelechzt hatte, S. A. Traherne persönlich kennenzulernen,
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