Skandal
einmal dahinterkommst, sind wir alle...« Er ließ seinen Satz abrupt abreißen.
»Dann seid ihr alle was, Papa?« Doch eine plötzliche Erkenntnis brach über Emily herein. Wenn es um finanzielle Angelegenheiten ging, ließ sie sich selten von romantischen Gefühlen blenden. Ihre Augen weiteten sich vor klarem Verständnis. »Ach, ich glaube, ich beginne, das volle Ausmaß der Drohung des Earls zu begreifen. Er ist wirklich sehr klug, nicht wahr?«
»Also, Em, jetzt zerbrich dir bloß nicht den Kopf über die Einzelheiten«, sagte Charles eilig. »Überlaß das lieber Vater.« Er tauschte einen besorgten Blick mit Devlin aus, der eine finstere Miene zog.
»Was euch Sorgen macht, ist nicht nur, daß mein Ruf in Gefahr ist, nicht wahr?« sagte Emily langsam. »Schließlich habt ihr diese harte Prüfung schon einmal überstanden. Nein, die eigentliche Gefahr besteht darin, daß Blade tatsächlich beabsichtigen könnte, eine Zeitlang mit mir fortzugehen. Und wenn ihr ohne mein finanzielles Geschick dasteht, dann würdet ihr alle drei die St. Clair Hall in Windeseile an den Spieltischen verlieren.«
»Verflixt, Emily, darum geht es hier überhaupt nicht. Worum ich mir Sorgen mache, das bist du, Mädchen. Du bist meine einzige Tochter. Glaubst du etwa, ich will mitansehen, wie du ein zweites Mal ruiniert wirst?« Broderick sah sie finster an.
Emily verschränkte die Arme unter den Brüsten und nickte zufrieden. »Wirklich, sehr geschickt. Ich wette, ohne mich, die euer Vermögen an der Börse immer wieder aufbessert, könntet ihr weder dieses Haus behalten, noch eure kostspieligen Zuchttiere und auch sonst nichts. Bestenfalls würdet ihr es ein Jahr lang schaffen.«
»Das ist nicht wahr«, fauchte Charles. »Um dich machen wir uns Sorgen. Was hier zählt, das sind dein Ruf und dein Glück.«
»Danke«, sagte Emily trocken. »Zu gütig von euch.«
»Jetzt sieh doch mal, Em...«, setzte Devlin wütend an.
»Wißt ihr«, sagte Emily versonnen, »die interessanteste Frage ist hier die, wie der Earl eigentlich dahintergekommen ist, daß ich für deine Finanzen von ganz entscheidender Bedeutung bin, Papa.«
»Eine verdammt gute Frage«, murmelte Broderick, während er sich noch ein Glas Bordeaux einschenkte. »Was nicht heißen soll, daß dein Bruder nicht recht hat«, fügte er schnell hinzu. »Ich mache mir Sorgen um dich, Mädchen. Sehr große Sorgen.«
»Wir uns auch«, versicherte ihr Charles. »Das Geld hat überhaupt nichts damit zu tun.«
»Es erleichtert mich, das zu hören«, murmelte Emily. »Es ist so schön zu wissen, daß die Familie sich um einen sorgt.« Sie stand auf und verließ den Raum.
Hinter ihr schenkte sich Broderick Faringdon den Rest Bordeaux ein. Er und seine Söhne versanken in ein bedrücktes Schweigen.
Emily begab sich direkt in ihr Allerheiligstes, die Bibliothek. Dort setzte sie sich hinter den großen Mahagonischreibtisch und starrte blicklos auf die Gärten hinaus. Lange Zeit rührte sie sich nicht. Dann öffnete sie eine Schublade und zog den schönen Kasten heraus, der den sorgsam gebündelten Packen mit Simons Briefen enthielt.
Es war an der Zeit, aus dem romantischen Dunstschleier herauszutreten, in dem sie in den letzten Tagen gelebt hatte. In einem Punkt hatte ihr Vater recht: Ihre gesamte Zukunft stand auf dem Spiel. Es war an der Zeit, sich ernsthafte Gedanken über das Problem zu machen, vor dem sie stand.
Es war auch wirklich an der Zeit, dieselbe messerscharfe Intelligenz, die bei ihr in finanziellen Angelegenheiten normalerweise zum Tragen kam, auf die Situation anzuwenden, in der sie sich jetzt befand. Emily öffnete den ersten Brief des Bündels. Sie hatte ihn schon zahllose Male gelesen und hätte ihn auswendig aufsagen können.
Meine liebe Miss Faringdon,
ich nehme mir die Freiheit heraus, mich postalisch vorzustellen, weil mir zu Ohren gekommen ist, daß Sie und ich gemeinsame intellektuelle Interessen haben. Ich habe gehört, daß Sie sich für gewisse Gedichte interessieren, die kürzlich von einem Buchhändler namens Pound verlegt worden sind. Mr. Pound war so freundlich, mir Ihre Anschrift zu geben...
Nachdem sie eine Stunde lang die Briefe noch einmal durchgelesen und alles noch einmal durchdacht hatte, was in den allerletzten Tagen an Gesprächen zwischen ihr und Simon stattgefunden hatte, zwang sich Emily zu gewissen unausweichlichen Schlußfolgerungen.
Die erste Schlußfolgerung war die, daß ihre Familie recht hatte. Simon hatte nur zu dem einen
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