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Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute

Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute

Titel: Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Volk
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Übergriffen erst unmittelbar vor Vorstellungsbeginn angeliefert. 6 «Um der Justiz den Sturm aus den Segeln zu nehmen», berichtete Der Spiegel über den «Sturm im Weihwasserglas», habe UIP bereits zwei Wochen vor dem Bundesstart die für ihr schnelles Einschreiten bekannte «Münchner Staatsanwaltschaft zur Pressevorführung geladen. Vorsorge auch im Musterländle: Justizminister Heinz Eyrich ließ am Premierenabend 17 Staatsanwälte in Baden-Württemberg ausschwärmen – Resultat: ‹Strafrechtlich nichts drin.›» 7 Mehr drin war für die Zensoren in Chile, Israel und Indien, wo der Film kurzerhand verboten wurde.
    Neun Jahre nach seiner Kinopremiere flackerte der internationale Skandal um D IE LETZTE V ERSUCHUNG C HRISTI noch einmal auf, als der Film 1997 im privaten Moskauer Fernsehsender NTV ausgestrahlt werden sollte. Es kam zu teilweise massiven Protesten vor dem Studiogelände des Senders. Patriarch Aleksij II., das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, verurteilte den Film in einem Fernsehinterview für denkonservativen Fernsehkanal MTK als gotteslästerliche Provokation aller rechtgläubigen Christen. Er drohte damit, von Präsident Jelzin eine Aufhebung der Sendelizenz für NTV erwirken zu wollen, falls der Sender den Film zeige. NTV strahlte den Film daraufhin nicht wie geplant an Ostern, sondern erst einige Monate später aus. 8 Auch in Bulgarien protestierte die orthodoxe Kirche und verhinderte im Januar 2002 die geplante Fernsehausstrahlung des Films. 9
Romanvorlage
    «Nie habe ich den blutigen Gang Christi nach Golgatha mit solchem Schrecken verfolgt, nie habe ich sein Leben und Leiden mit solcher Intensität, so viel Verständnis und Liebe nachgelebt, als zu der Zeit, da ich Die letzte Versuchung Christi schrieb». 10 So äußerte sich der griechische Schriftsteller und Autor von Alexis Sorbas (1946, dt.: 1952) Nikos Kazantzakis (1883–1957) über sein Werk (1951, dt.: 1952). Der Papst allerdings setzte den Roman 1954 auf den Index der verbotenen Bücher. Von der orthodoxen Kirche wurde der Autor 1955 sogar exkommuniziert.
    Die Reaktionen
    Pro: «Indem Scorsese die Schrift wörtlich nimmt, nimmt er sie ganz und gar ernst. Das ist natürlich Gotteslästerung. Bekanntlich lästert derjenige Gott, der die von der Institution Kirche per Gesetz verabschiedete Lesart des Evangeliums verlässt und selber liest und sieht. Wer das Deutungsmonopol der Kirche untergräbt, den verfolgt sie ohne Gnade. Das war immer so und ist heute nicht anders.»
    Ulrich Greiner, Die Zeit, 11. November 1988.
    Contra: «Wer seine Neugier nicht bezähmen kann, schaue die Schnulze an. Das Geld wird ihn reuen; denn verglichen mit dieser L ETZTEN V ERSUCHUNG sind selbst Pornos jedenfalls ehrlich. Und was den Lila-Jesus und den herzigen Engel über dem niederbayerischen oder westfälischen Doppelbett in Omas und Opas Schlafzimmer angeht – über die wird einer, der Scorseses Film gesehen hat, gewiss nicht mehr lächeln. Lieber der rührende als der berechnende, auf eine Rambo-Gemeinde zugeschnittene Kitsch.»
    Walter Jens, Die Zeit, 11. November 1988
    «Dieselben Leute, die unlängst öffentlich empfohlen haben, sich Mel Gibsons P ASSION OF THE C HRIST unbedingt anzusehen, haben seinerzeit strikt über meinen angeblich unmoralischen Film gehetzt. Ich weiß, dass ich nie irgendjemandes Glauben beleidigt habe. Wer an etwas glaubt, hat meinen Segen – solange er seinen Glauben nicht auch mir aufzwingen will.»
    Martin Scorsese im Interview in die tageszeitung, 19. Januar 2005
     
    1 Vgl.: Aljean Harmetz: Ministers Vow Boycott Over Scorsese Film on Jesus. In: The New York Times , 13.7.1988.
    2 Vgl.: Jürgen Kniep: «Keine Jugendfreigabe!» Filmzensur in Westdeutschland 1949-1990. Göttingen 2010, S. 330f.
    3 Zitiert nach: Peter Hasenberg: Provokationen und Denkanstöße – Skandalfilme in der katholischen Filmarbeit (II): Von den 70er Jahren bis heute. In: Film-Dienst , Nr. 13, 1995.
    4 Zitiert nach: Hasenberg.
    5 Vgl.: Matthias Loretan: Jesus als schwarzer Engel. In: Orientierung , Nr. 22, 30.11.1988.
    6 Vgl.: Sturm im Weihwasserglas. Christen-Proteste gegen Scorseses «Die letzte Versuchung Christi». In: Der Spiegel , Nr. 46, 14.11.1988.
    7 ebda.
    8 Vgl.: Christopher Selbach: Fundamentalismus in der russischen Orthodoxie . Norderstedt 1999, S. 11.
    9 Vgl.: www.imdb.com/title/tt0095497/trivia (09.08.2010).
    10 Zitiert nach: Deutsche DVD-Fassung von D IE LETZTE V ERSUCHUNG C HRISTI . Universal Pictures Germany 2003.

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