Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute
Scorsese gemeinsam mit Jay Cocks erneut eine Oscarnominierung für das «Beste Drehbuch» erhielt, oder der brutale Mafiastreifen C ASINO (1995).
Aber erst nach der Jahrtausendwende erreicht Scorseses Karriere mit den jeweils für den Regieoscar nominierten Filmen G ANGS OF N EW Y ORK (2002) und A VIATOR (2004) auch finanziell neue Höhepunkte. 2003 wird er mit einem Stern auf Hollywoods Walk of Fame geehrt. Für den Undercover-Thriller D EPARTED – U NTER F EINDEN (2006, mit Leonardo DiCaprio), der erneut Scorseses ursprüngliches soziales Umfeld aufarbeitet und abermals in einem düster gezeichneten Gangstermilieu spielt, wird der Altmeister des New Hollywood 2007 dann zum ersten Mal mit dem Regieoscar ausgezeichnet, für den er zuvor bereits fünfmal vergeblich nominiert worden war.
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Die Aufregung legte sich dadurch jedoch nicht. Stattdessen schwappte die Welle der religiösen Entrüstung von den USA auf Europa über. Auch hier sorgte der Film bereits im Vorfeld für reichlich Sprengstoff. Vorgeworfen wurde ihm eine blasphemische Darstellung des biblischen Jesus, die in provokanter Weise dem tatsächlichen christlichen Bild des Sohnes Gottes widerspräche. Jesus in einer Liebesszene und nackt zu sehen, empörte die konservative christliche Welt. Für sie lagen Szenen einer barbusigen Maria Magdalena und extrem blutige Darstellungen jenseits des Erträglichen.
Es wurden Befürchtungen laut, Christen könnten durch eine solche Sichtweise den Glauben verlieren, da der Vorbildcharakter der Figur Jesu im Film desavouiert werde. Der Vatikan rief zum Boykott auf. Noch vor dem deutschen Kinostart am 10. November 1988 wurden die FSK und die Filmbewertungsstelle FBW mit Protestschreiben und Unterschriftenlisten überhäuft. In mehr als 1.200 Zuschriften an die FSK und über 300 Briefen an die FBW versuchten aufgebrachte Gläubige ein Verbot des Filmes in der Bundesrepublik zu erreichen. 2 Bereits im August hatte die Evangelische Marienschwesternschaft Darmstadt auf der Basis einer von Evelyn Dukovic, der Vize-Präsidentin der New Yorker Organisation «Morality in Media» verfassten Inhaltsangabe des Films ausdrücklich vor einer «hereinbrechenden Flut der Gotteslästerung» gewarnt. Die Gründerin der Schwesternschaft, Mutter Basilea Schlink, kritisierte, Jesus werde in Scorseses Film als «Lüstling» und Schwächling voller Furcht und Sünde dargestellt. 3
Die OCIC, eine internationale katholische Organisation für Film undAV-Medien, deren Preise auf renommierten internationalen Filmfestivals verliehen wurden, bemängelte auf den Filmfestspielen in Venedig im September im Rahmen der europäischen Premiere von D IE LETZTE V ERSUCHUNG C HRISTI die künstlerische Umsetzung des Filmes. In einer eigenen Stellungnahme verurteilten die deutschen Bischöfe anlässlich ihrer Herbstvollversammlung den Film: «In völliger Willkür verfälscht und verzerrt der Film die biblische Gestalt Jesu. Er beleidigt die religiösen Gefühle der Gläubigen.» Die Bischöfe zeigten sich verärgert darüber, dass der Film «überhaupt dem Publikum zugemutet» werde. 4
Besonders unter konservativen Christen rief der Film wütende Proteste hervor, die zum Teil in gewalttätigen Aktionen mündeten. In Paris wurde ein Brandanschlag auf ein Kino verübt, andere Kinobetreiber erhielten Drohbriefe, militante Christen verübten Tränengas- und Stinkbombenattentate. Ende Oktober 1988, ein Monat nachdem der Film in Paris in 17 Sälen angelaufen war, wurde D IE LETZTE V ERSUCHUNG C HRISTI dort nur noch in einem einzigen Kino gezeigt. 5 Weltweit kam es zu Protestaktionen, Pastoren verurteilten den Film in ihren Predigten, Kinobesitzer weigerten sich ihn zu spielen, und Vorführungen mussten aufgrund von Bombendrohungen abgesagt werden.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland gingen Drohanrufe beim zuständigen Filmverleih «UIP» und manchen Kinobetreibern ein. In Bayern wurden Lehrer von der Landesregierung ermuntert, durch Verlautbarungen vor den Gefahren des Films zu warnen. Anders als in den USA und Frankreich hielten sich die Proteste auf den Straßen in Deutschland jedoch in Grenzen, und sie blieben überwiegend friedlich. In mehreren Städten versammelten sich Christen mit Protestplakaten vor den Kinos, in denen D IE LETZTE V ERSUCHUNG C HRISTI gespielt wurde, oder sie demonstrierten mit Fackelzügen und Kerzenmärschen. Vereinzelt wurden die Handtaschen von Kinobesuchern auf Stinkbomben untersucht und die Filmkopien aus Angst vor
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