Skelett
im Gesicht. Wie lange wird denn diese Amnesie anhalten?«
Lucinda redete sehr schnell und sprang von einem Thema zum anderen. Dabei drückte sie sich gewählt aus, und Tweed empfand ihre Stimme als ausgesprochen angenehm. Inzwischen war sie ihm auf der Couch Stück für Stück näher gerutscht, sodass ihr Knie jetzt beinahe seinen Oberschenkel berührte.
»Bisher haben ihn zwei Fachärzte wegen seines Gedächtnisverlustes behandelt«, sagte Tweed. »Zunächst war das die Psychiaterin Bella Ashton - mit Sicherheit die bessere der beiden.« Er griff in die Jackentasche, holte Ashtons Karte heraus und gab sie ihr. »Wenn Sie sie anrufen, können Sie sich gern auf mich berufen. Möglicherweise hilft das.«
Lucinda holte sich einen Notizblock und einen Montblanc-Füller vom Schreibtisch und notierte sich mit eleganter Handschrift Name und Adresse, bevor sie Tweed die Karte zurückgab.
»Was die Dauer seines Zustands betrifft, wird Mrs Ashton Ihnen bestätigen, dass es unmöglich ist, irgendwelche Vorhersagen zu treffen. Auf der rechten Kopfseite hat man unter den Haaren eine Verletzung entdeckt, die höchstwahrscheinlich von einem Schlag oder Sturz herrührt. Möglicherweise ist sie die Ursache für seinen umfassenden Gedächtnisverlust.«
»Sollten wir nicht noch einen weiteren Arzt oder Spezialisten hinzuziehen?«, fragte Lucinda.
»Das können Sie gern tun, aber meiner Ansicht nach wäre das hinausgeworfenes Geld. Michael wurde in London von mehreren Ärzten untersucht. Ich glaube, er wird von allein wieder gesund. Fragt sich nur, wie lange das dauern wird.«
»Mein Onkel Drago wird das alles noch einmal von Ihnen persönlich hören wollen.«
»Wieso erzählen Sie ihm nicht einfach, was ich Ihnen gerade gesagt habe?«
»Das wird nichts nützen.« Lucinda strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Onkel Drago verlässt sich nur auf das, was er aus erster Hand erfährt.« Sie lächelte. »Alle anderen Informationen lehnt er grundsätzlich ab. Selbst wenn sie von mir kommen.« Sie zog ihren Schal vom Hals. Darunter kam eine Kette aus bunten Perlen zum Vorschein, die sie ebenfalls abnahm. Sie legte sie auf den Tisch und sagte: »Das ist meine ›Sorgenkette‹.«
»Sie machen sich Sorgen? Das sieht man Ihnen aber gar nicht an.«
»Es passiert auch nur manchmal, nämlich dann, wenn ich besonders unter Druck stehe«, antwortete sie und griff nach Tweeds Hand. »Sie werden feststellen, dass Drago eine beeindruckende Persönlichkeit ist. Und ich bin mir sicher: Sie werden gut mit ihm auskommen.« Sie drückte Tweeds Hand und lächelte ihn an.
»Mir genügt es schon, wenn ich mit Ihnen gut auskomme«, sagte Tweed. »Aber verraten Sie mir eines, Lucinda: Hier in dieser Betriebsanlage werden die Lebensmittel von Gantia gelagert, soviel ich mitbekommen habe. Wo aber werden die Waffen fabriziert, mit denen Drago Volkanian zusätzlich handelt?«
»Ha!« Ein seltsames Lächeln machte sich auf Lucindas Gesicht breit. »Wenn ich Ihnen solche Fragen beantworte, wirft mich mein Onkel auf der Stelle raus. Da versteht er keinen Spaß.«
»Ist denn nicht Larry der Boss hier?«
»Doch, das schon. Er ist seit gut zwei Jahren Geschäftsführer. Er und Michael waren zwar gleich gut dafür qualifiziert, aber Michael wollte den Job nicht haben. Er ist lieber Vertriebsleiter und reist in der Welt herum.«
»Wie lang sind solche Geschäftsreisen denn üblicherweise?«
»Das kann manchmal schon ein Vierteljahr dauern, bisweilen sogar noch länger. Drago geht das ziemlich auf den Geist, weil Michael keine Zwischenberichte liefert. Er wartet immer, bis er mindestens zwei große Verträge abgeschlossen hat, und behauptet, nur so effektiv arbeiten zu können.«
»Dann haben Sie wohl angenommen, dass er wieder einmal auf einer seiner Reisen ist, als Sie jetzt drei Monate lang nichts von ihm gehört haben, nicht wahr?«
»Ganz genau.« Sie drückte seine Hand noch fester. »Langsam bekomme ich doch den Eindruck, dass Sie mich ganz unauffällig verhören. Sie sind mir vielleicht einer, Mr Tweed. Ich hoffe nur, dass Sie mich zur Belohnung wenigstens zum Abendessen einladen.«
»Wie wäre es morgen Abend um acht im Santorini’s?«, schlug Tweed vor. »Wissen Sie, wo das ist?«
»Ja. Ein vorzügliches Restaurant mit einem wunderbaren Blick über die Themse. Acht Uhr passt mir gut. Da bleibt mir noch genügend Zeit, um mich in Schale zu werfen, damit ich unsere Sache im besten Licht präsentieren kann.«
»Na, da bin ich aber
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