Skelett
gespannt«, sagte Tweed und stand auf. »Bevor ich gehe, hätte ich aber noch eine Frage. Hatten Sie hier in der Firma in den vergangenen drei, vier Monaten irgendwelche ungewöhnlichen Besucher? Irgendjemanden, den Sie nie zuvor gesehen haben?«
»Lassen Sie mich überlegen … zu uns kommen ja täglich so viele Menschen. Aber zunächst möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Wie kommen Sie denn mit Ihren Ermittlungen zu dem grausigen Skelettfund im Moor voran? Weiß man schon, wer die Leiche ist?«
»Es ist noch zu früh, dazu irgendetwas zu sagen. Es wird sicherlich noch etwas dauern, bevor ich das Rätsel lösen kann. Wenn ich das überhaupt schaffe …«
»Ich bin mir sicher, dass Sie es lösen werden«, sagte Lucinda zuversichtlich und stand ebenfalls auf. Während sie mit Tweed zur Tür ging, fuhr sie fort: »Jetzt fällt mir doch ein seltsamer Besucher ein. Es war eine Frau. Sie hat sich telefonisch angekündigt und ist am späten Nachmittag gekommen. Sie hatte ein Empfehlungsschreiben von Drago dabei, in dem stand, dass ich ihr Einsicht in die Buchführung gestatten und auch sonst jede Unterstützung zukommen lassen solle. Das Wort ›jede‹ war doppelt unterstrichen. Und genau das habe ich getan. Ich habe der Frau unsere Bücher gebracht und fast befürchtet, die ganze Nacht warten zu müssen, bis sie fertig ist, aber sie war erfreulich schnell. Um sieben Uhr abends, kurz nach der regulären Schließung des Betriebs, war sie fertig.«
Lucinda ging zum Schreibtisch und blätterte dort in ihrer Rolodex-Kartei. Sie schrieb etwas auf einen Zettel, den sie dann Tweed reichte.
»Hier ist ihr Name und ihre Adresse«, sagte sie. »Das Merkwürdige an der Sache war übrigens, dass mich ein paar Stunden später ihre Schwester anrief. Sie heißt Anne, genau wie meine verstorbene Mutter, deshalb habe ich mir den Namen gemerkt. Anne wollte wissen, ob ihre Schwester bei mir gewesen sei. Sie habe auf sie gewartet und mache sich große Sorgen, weil sie nicht nach Hause gekommen sei. Anne hat mir ihre Adresse und Telefonnummer gegeben. Warten Sie, ich schreibe sie Ihnen auch noch schnell auf den Zettel.«
Nachdem Lucinda Tweed den Zettel zurückgegeben hatte, hakte sie sich bei ihm ein und begleitete ihn zum Aufzug. Dort küsste sie ihn zum Abschied auf beide Wangen und ging zurück in ihr Büro. In der Aufzugkabine überflog Tweed die Namen auf dem Papier und stutzte.
Bei der Besucherin handelte es sich um eine gewisse Christine Barton. Ihre Schwester führte denselben Nachnamen, und beide lebten in London.
Und hatte der Name Christine nicht auf der Liste gestanden, die man in Michaels Tasche gefunden hatte?
Tweed wartete, bis er und Paula im Auto saßen, ehe er zu erzählen begann. Paula studierte aufmerksam das Blatt Papier, das Lucinda ihm gegeben hatte. Tweed fuhr langsam durch das Tor, das der Wachmann Ken für ihn geöffnet hatte, und bog auf die Autobahn nach London ein.
»Würde mich mal interessieren, ob diese Christine noch immer verschwunden ist«, meinte Paula.
»Wissen Sie was? Das prüfen wir jetzt gleich nach«, sagte Tweed. »Christine wohnt in der Yelland Street. Die geht von der Fulham Road ab. Und Anne wohnt am Champton Place. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das in der Nähe der Victoria Station ist.«
»Dann fahren wir erst in die Yelland Street und probieren es danach am Champton Place. Sehr vielversprechend erscheint mir diese Spur allerdings nicht.«
»Als ich noch beim Yard war, waren die nicht so vielversprechenden Spuren oft die ergiebigsten.«
12
Tweed und Paula bogen von der Fulham Road in die ruhige Yelland Street, wo in bunten Farben gestrichene, aufwändig renovierte Reihenhäuser aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg von einem gewissen Wohlstand der Bewohner zeugten. Vor einem der Häuser parkte sogar ein Rolls-Royce. In der ganzen Straße war kein einziger Mensch zu sehen. Erst als Tweed und Paula zur Hausnummer 158 kamen, wo Christine Barton wohnte, bemerkten sie vor der Tür einen blauen Ford, hinter dessen Steuer ein Mann saß und rauchte.
Tweed lenkte den Wagen an den Straßenrand und stieg mit Paula aus. Als sie die paar Stufen zur Eingangstür hinaufgingen, verließ der Mann den Ford und rannte ihnen hinterher. Er war um die vierzig und trug einen dunklen Anzug, ein leicht angegilbtes weißes Hemd und dazu eine schreiend rote Krawatte.
»Zeigen Sie mir sofort Ihre Ausweise!«, rief er.
Der Mann war Paula auf den ersten Blick unsympathisch. Sein hartes Gesicht,
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