Skelett
mit der Harpune den Keil aus dem Türspalt zu klopfen. Nach fünf Schlägen hatte er ihn endlich entfernt.
»Ich möchte, dass Sie an Deck bleiben«, sagte er zu Paula.
»Fangen Sie nicht schon wieder mit dieser alten Leier an.«
Tweed biss die Zähne zusammen und zog am Türknauf. Die Tür ließ sich jetzt leicht öffnen. Augenblicklich schlug ihm ein widerwärtiger, süßlicher Geruch entgegen, der nur eines bedeuten konnte. Tweed nahm ein Taschentuch und band es sich vor Mund und Nase. Paula, die es ihm gleichgetan hatte, zog ihre Taschenlampe aus der Umhängetasche.
In der Kabine war es stockfinster, und der Gestank war ekelerregend. Der Raum sah aus, als wäre er durchsucht worden. Der Schrank stand offen, und aus der Kommode hatte man die Schubladen herausgerissen. Überall lagen Kleidungsstücke und andere Gegenstände verstreut.
Der Strahl von Paulas Taschenlampe huschte über ein leeres altes Ledersofa und wanderte langsam weiter auf die andere Seite der Kabine. Auch hier befand sich ein Ledersofa, diesmal aber eines, das nicht leer war: Auf ihm lag ausgestreckt eine weitgehend skelettierte Leiche. Auf dem Boden davor standen mehrere durchsichtige Plastiktüten, die zum Teil schon verweste große Fleischklumpen enthielten. Menschenfleisch. Fleisch von der Leiche. Der Gestank war so überwältigend, dass Tweed zu würgen anfing.
»Wir sollten schleunigst hier raus«, sagte Paula mit durch ihr Taschentuch gedämpfter Stimme.
Draußen angekommen, schlug Tweed sofort die Tür zur Kabine zu und holte dann tief Luft. Paula trat an die Reling, allerdings nicht, um sich zu übergeben, wie Tweed zunächst vermutet hatte. Sie zog ihre Handschuhe aus, warf sie aufs Deck und holte aus ihrer Umhängetasche eine Flasche Mineralwasser. Sie nahm einen großen Schluck und reichte die Flasche dann an Tweed weiter. Auch er hatte ein flaues Gefühl im Magen.
»Gehen wir zurück ans Ufer«, sagte er heiser.
»Ja, aber passen Sie auf der Planke auf.«
Als sie wieder auf dem Uferweg standen, sagte Tweed:
»Geben Sie mir bitte Ihr Handy. Ich möchte Buchanan anrufen.«
Während Tweed einen detaillierten Bericht durchgab und mit Buchanan als Treffpunkt den Gasthof an der Brücke vereinbarte, vertrat Paula sich auf dem Treidelpfad die Beine. Als sie wiederkam, gab Tweed ihr das Handy zurück.
»Buchanan ist schon unterwegs. Ich habe ihn gebeten, in Wensford lieber auf Blaulicht und Sirene zu verzichten. Wir wollen hier doch keine Schaulustigen haben.«
»Sollten wir nicht noch einmal zurück und uns den Tatort genauer ansehen? Ich glaube, ich habe etwas im Fluss treiben sehen.«
»Nein, das lassen wir. Die Spurensicherung am Tatort ist Buchanans Job.«
Im Gasthof wurden sie von einer Frau mit rosigen Wangen und einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht empfangen. Als Tweed ihr erzählte, seit Stunden nichts mehr gegessen zu haben, erklärte sie sich bereit, ihm und Paula ein Schinkensandwich zu machen, obwohl die Küche bereits für den Nachmittag geschlossen war.
»Dafür wären wir Ihnen sehr dankbar«, sagte Tweed.
»Meinen Sie, wir könnten auch noch eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser dazu bekommen?«
»Setzen Sie sich an den Tisch dort drüben, ich bringe Ihnen das Gewünschte.«
Sie ließen sich an einem Fensterplatz nieder, von wo aus sie auf den Hinterhof blicken konnten. Sie waren die einzigen Gäste im Lokal.
»Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich jetzt ein Schinkensandwich hinunterbringe«, sagte Paula.
»Dann lassen Sie es stehen und trinken nur etwas Wasser, das hilft gegen den Schock.«
»Ich stehe nicht unter Schock«, sagte Paula leicht aufgebracht. »Inzwischen bin ich zerstückelte Leichen fast schon gewöhnt.«
Die Wirtin brachte das Essen und den Kaffee und verließ die Gaststube gleich darauf wieder. Tweed nahm sich ein Schinkensandwich, und auch Paula aß ihres mit gutem Appetit.
»Bei der Leiche handelt es sich bestimmt um den armen Jackson«, sagte sie.
»Das werden wir erfahren, sobald Buchanan die Leiche hat untersuchen lassen.«
»Der Liste nach müsste er es sein. John. Und wer Christine ist, wissen wir auch. Aber wie steht es mit den anderen beiden Namen? Ken und Lee?«
»Bei Lee könnte es sich um eine gewisse Lee Charlton handeln. Sie ist verheiratet mit Aubrey Greystoke, dem Leiter der Finanzabteilung von Gantia. Gestern Abend während meines Essens mit Lucinda habe ich erfahren, dass sie ihren Mann angeblich vor drei Monaten verlassen hat, weil er ein
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