Skinwalker 01. Feindesland
verächtlich. Aber als sie die Bikes entdeckte, die auf einem Schrottplatz in North Carolina vor sich hinrosteten, war sie Feuer und Flamme.
Jacob, der Mechanikermeister, der zehn Jahre als Motor- und Karosseriebauer beim NASCAR -Rennen in Charlotte gearbeitet hatte, war kein gewöhnlicher Schrauber, er war ein Zenmeister für Harleys. Er baute Mischa nicht einfach nur zusammen, sondern ließ sie in einer Perfektion wieder auferstehen, zu der nur ein wahrer Meister fähig ist. Äußerlich sah Mischa noch aus wie eine serienmäßige Pan-Shovel, war aber mit modernen Vorzügen ausgestattet wie zum Beispiel einem zuverlässigen, leisen Mikumi- HSR 42-Vergaser und wartungsfreien Hydrostößeln – eine Traummaschine. Nur ein einziges Mal waren wir uns uneinig, und zwar als Jacob einen elektrischen Anlasser einbauen wollte. Zündschlüssel sind was für Memmen. Mischa besaß einen altmodischen Kickstarter, und so würde es auch bleiben.
Wir rollten die Straße hinunter, und das Brüllen des Motors markierte unser Revier, wie Beast mit ihrem Schrei das ihre absteckt. Ja, Beast schrie, sie brüllte nicht. Afrikanische Löwen brüllen, Pumas nicht. Puma, Kuguar, Silberlöwe, Panther oder Berglöwe – viele Bezeichnungen für ein einziges Tier, Puma concolor –, eins der drei größten noch lebenden Raubtiere abgesehen vom Menschen. Kein anderes Säugetier auf dem nordamerikanischen Kontinent hat ein so ausgedehntes Verbreitungsgebiet. Doch so furchterregend sie auch sein können, brüllen können Pumas nicht. Sie schreien, husten, knurren, schnurren, jaulen, fauchen und geben tiefe Schnauflaute von sich. Die Jungen machen laute, tschilpende Pfeiftöne, um die Mutter zu rufen, aber sie können nicht brüllen. Beast findet, dass diese Fähigkeit ohnehin überschätzt wird und dass man nur den weißen Jäger und sein Gewehr auf sich aufmerksam macht, wenn man brüllt. Leise und heimlich, das ist besser. Und mit Schreien die Beute einschüchtern. Mehr brauchte sie nicht. Aber das Brüllen des Motorrads gefiel ihr. Das verstehe, wer will.
Jetzt würde sie sich wahrscheinlich ruhig verhalten – sie schlief beinahe sechzehn Stunden am Tag –, denn Einkaufen hatte zwar etwas von Beute machen, war aber nicht blutig genug, um ihren Jagdinstinkt zu wecken. Ich brauchte leichtere Kleidung, um diese feuchte Hitze zu überleben. Es herrschten etwa fünfunddreißig Grad, und in den nächsten Tagen sollte es noch heißer werden. Außerdem musste ich mit dem Metzger reden, damit ich ausreichend Proteine bekam. Um mir die versprochene Prämie zu verdienen, würden Beast und ich uns vielleicht jeden Tag wandeln müssen, und das hieß, ich brauchte unbedingt Frischfleisch. Fünf bis zehn Pfund am Tag plus eine halbe Schachtel Haferflocken – und das schon, um mich gerade eben so von zwei Wandeln zu erholen. Sollte ich kämpfen oder flüchten müssen, brauchte ich noch sehr viel mehr Kalorien.
Wir verließen das Quarter. Als wir auf der Charles Avenue beschleunigten, fing es an zu regnen. Einfach so, aus heiterem Himmel. Ich seufzte. Mein Haar würde furchtbar aussehen.
Ich vereinbarte mit dem Metzger, dass ich meine Bestellungen telefonisch durchgeben konnte. Auf dem Weg nach Hause fand ich einen Wal-Mart, wo ich einen Badeanzug, eine leichte Cargohose, Shorts, Tanktops und neonfarbene Flipflops erstand. Zwei Kilometer weiter passierte ich ein Einkaufszentrum mit einem Floristen, einer kleinen protestantischen Kirche und einem Laden, in dessen Schaufenster wadenlange Röcke ausgestellt waren. Ich hielt an, nahm den Helm ab und ging hinein.
Es waren Patchworkröcke. Nicht die Sorte, die sechzigjährige Hippiefrauen trugen, sondern feiner, leichter und nach unten ausgestellt, aus fünf mal zehn Zentimeter großen hauchdünnen Seide- und Baumwollflicken in leuchtenden Farben. Jeder Rock war in korrespondierenden Farben gehalten, in Blautönen, Türkis oder Rotvarianten; manche waren zusätzlich mit Stickerei verziert. Ich nahm einen Rock in Meerblau und Lila und schüttelte ihn sacht. Der Saum schwang hin und her, kokett und niedlich. Niedlich – das war nicht ich, aber irgendwie gefiel es mir. Der Bund war elastisch, sodass ich ihn sowohl tief auf der Hüfte als auch in der Taille tragen konnte.
»Der würde total stark an Ihnen aussehen .«
Ich sah zu dem jungen Mädchen, die hinter dem Tresen saß, ein Taschenbuch in der Hand. »Meinen Sie ?«
»Ja. Aber dazu sollten Sie diese Bluse probieren .« Sie ließ sich von ihrem hohen
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