Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
ihn Skiria plötzlich sanft ansprach: „Wie ist dein Name, Junge?“
In der Dunkelheit bemerkte sie die zarte Röte nicht, die sich über sein Gesicht legte.
„K – K – Karol“, stammelte er aufgeregt.
Einen Moment lang überlegte Skiria, ob es klug sei, ihren eigenen Namen zu verraten. Schließlich suchten die Bürger Runas nach ihr. Doch das Dorf lag weit hinter ihr zurück. Vermutlich stammten die Jäger aus einem fernen Ort, bis zu dem die Kunde ihres vermeintlichen Diebstahls noch nicht gedrungen war.
„Ich heiße Skiria“, verriet sie freundlich.
Karol sah zu Boden und wusste nichts darauf zu erwidern. Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und bekannte, ohne dabei aufzusehen: „Das ist ein hübscher Name.“
„Du bist ein sehr netter Junge. Wenn du mich losbindest, bekommst du einen Kuss.“
Karols Wangen glühten. Eine Weile verging, bevor er aufstand und sich der Gefangenen näherte. Von ihrem Versprechen durchaus angetan, beugte er seinen Kopf zu ihr hinab, sodass sich sein Kinn zu drei dicken Wülsten zusammenschob und reckte ihr seine gespitzten Lippen erwartungsvoll entgegen.
„Zuerst musst du meine Fesseln lösen“, erinnerte Skiria nachdrücklich. Enttäuscht seufzte er auf, doch gleich darauf erhellte sich seine Miene wieder. Als sich sein Mund dicht an ihren schob, drehte Skiria den Kopf angewidert zur Seite, damit ihr Karol nicht zu nahe kam. Unnachgiebig versuchte der Junge nun, seinen Willen durchzusetzen und griff unter ihr Kinn, um es anzuheben und dadurch zu verhindern, dass sie sich seinem Kuss entzog.
„Was treibst du da?“ Verärgert sah Agata von ihrem Schlafplatz hoch.
„Gar nichts“, antwortete Karol scheinbar leichthin, und richtete sich auf, doch seine Augen flackerten nervös.
Sein Verhalten erregte Agatas Misstrauen. Argwöhnisch beobachtete sie, wie Karol geknickt davon schlich. Erst als er sich schlafen gelegt hatte, begab sie sich selbst wieder zur Ruhe, nicht ohne immer wieder ein Auge zu öffnen, mit dem sie sich davon überzeugte, dass der Knabe keinen Unfug trieb.
Er war ein sehr junger Drache gewesen, als Onkel Hojomor ihm die Geschichte erzählt hatte, aber Ramin erinnerte sich jetzt wieder gut daran.
Stets hatten ihn die älteren Tiere ermahnt, sich vor den Menschen in Acht zu nehmen. Bis dahin glaubte er, dass kein menschliches Wesen den Drachen wohl gesonnen war. Doch es schien eine Ausnahme zu geben. Vor vielen Jahren, so berichtete Hojomor, ereignete sich ein tragisches Unglück. Eine Artgenossin stürzte bei dem Versuch, eine steile Felswand zu erklimmen, in den Tod und hinterließ ihr Junges, das kaum fünf Jahre auf dieser Welt weilte. Der Vater war längst weitergezogen in ein fernes Land, und so fand sich das Drachenmädchen plötzlich völlig allein in einer kargen Winterlandschaft wieder. Des Jagens noch nicht mächtig, zog es wimmernd durch den Wald, um irgendwo auf ein totes Reh oder wenigstens einen Hasen zu stoßen, doch was es vorfand, reichte nicht, um seinen Hunger auch nur annähernd zu stillen. Wochen vergingen, bevor eines Tages ein Mensch den Teil des Waldes durchquerte, in dem sich das Jungtier aufhielt.
Vor dem Zauberer Hazaar, der gerade von einer seiner weiten Reisen heimkehrte, stand plötzlich ein kleiner Drache, halb verhungert und in einem erbärmlichen Zustand. Mitleid überkam den Magier, und er beschloss, das Tier mit in seine Burg zu nehmen. Der Mann kümmerte sich sorgsam um den Findling und zog ihn auf, bis er zu einem stattlichen Koloss herangewachsen war, der selbst für seine Beute sorgen konnte. Schließlich schickte ihn Hazaar zurück in die Wälder, damit er fortan ein Leben führen konnte, das seiner Art entsprach. Voller Dankbarkeit zog die Drachendame fort und ließ sich in einer nahe gelegenen Höhle nieder. Niemals vergaß sie ihren Ziehvater und erzählte manch anderem Drachen, der an ihrem Quartier vorüberzog, die Geschichte des gütigen Zauberers.
Ein letztes Mal rief Ramin Skirias Namen in den Wald, der dort jedoch wie zuvor ungehört verhallte. Es blieb wohl keine andere Wahl, als den Magier nach Skirias Verbleib zu befragen. Nun, da er sich an Hojomors Geschichte erinnerte, hoffte Ramin, dass Hazaar ihn zumindest empfangen würde. Sein Onkel wusste gewiss, wo sie den weisen Zauberer anträfen. Ob Hazaar ihnen helfen konnte, würde sich sodann zeigen.
Als Gwendol von Ramins Plänen erfuhr, vollführte er einen überschwänglichen Luftsprung und juchzte laut
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