Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
Klauen absolvieren musste. Er besah sich Ramin eindringlich. Auf seinem Rücken konnte ein schmächtiger Jüngling zwar durchaus reiten, aber er befürchtete, dass schon ein zarter Windhauch ausreichte, um ihn von dem Tier hinabzufegen. Wenn sich wenigstens ein Sattel auf seinem Rist befände, wie bei einem Pferd.
Ramin hatte sich bis dahin still verhalten. Sein Onkel nahm anscheinend an, dass einem Drachen in Ramins Alter das Fliegen weitgehend geläufig sein sollte. Doch sein Neffe bildete wohl eine seltene Ausnahme. Wie lange mochte sein bislang einziger, völlig missglückter Flugversuch zurück liegen? Zwanzig Jahre oder noch länger?
„Können wir nicht durch den Wald gehen?“, wagte er einen zaghaften Vorstoß.
„Natürlich nicht!“
Entgeistert über diesen unsinnigen Einfall fragte sich Hojomor, ob sein Neffe nicht wissen sollte, dass ein Fortkommen zu Fuß im unwegsamen Dickicht nahezu unmöglich war.
„Um Hazaars Schloss herum befindet sich undurchdringliches Gestrüpp und die Bäume wachsen so eng beieinander, dass ihre Äste sich ineinander verschlingen. Ein Drache kommt da nicht durch.“
„Und wenn nur ich gehe und Ramin fliegt?“, schlug Gwendol vor.
„Du wirst dich hoffnungslos verlaufen“, prophezeite Hojomor nüchtern. „Aus der Luft ist das Schloss dagegen recht gut zu sehen. Fliegt einfach gegen Nordosten. Bei guter Sicht könnt ihr schon bald die kleine Anhöhe erkennen, auf der das Schloss erbaut wurde. Nicht weit von hier befindet sich eine Lichtung. Von dort aus kann Ramin starten. Kommt mit, wir gehen gleich dorthin!“
Er setzte sich in Bewegung, bevor seinen Gästen noch weiterer Mumpitz einfiel. Gwendol und Ramin blieb nichts anderes übrig, als ihm widerstrebend zu folgen.
Ramin wagte nicht, seinem altehrwürdigen Onkel zu widersprechen. Womöglich waren seine Flugfähigkeiten in den letzten Jahren unmerklich gereift, versuchte sich Ramin zu beruhigen. Schließlich hatte er es seitdem nie mehr ausprobiert.
„Bevor ihr das Schloss betreten dürft“, belehrte sie Hojomor während ihres Marsches, „verlangen die Wachposten eine Losung von euch.“
„Wie heißt sie denn?“, erkundigte sich Gwendol gespannt.
„Das müsst ihr selbst herausfinden, denn sie ändert sich ständig. Doch wenn eure Herzen frei von schwarzer Magie sind, wird sie wie selbstverständlich aus euren Mündern klingen.“
Der Knabe überlegte einen Augenblick, kam jedoch zu dem Schluss, dass mit seinem Herzen alles in Ordnung sei und verschwendete keine weiteren Gedanken an die Parole, die ihnen Zutritt zum Schloss gewährte. Denn zuerst musste er den Ritt auf dem Drachen überstehen.
Auf der Lichtung angekommen, blieben Ramin und Gwendol stehen, als warteten sie auf weitere Anweisungen Hojomors. Der Junge überlegte, wie er überhaupt auf den hoch aufragenden Rücken des Drachen gelangen sollte. Schließlich verfügte er über keinerlei Steigbügel.
Auch Ramin schien das Problem zu erkennen, sodass er nun versuchte, sich möglichst dicht auf den Boden zu kauern, bis sein Kopf das Gras der Wiese berührte, damit Gwendol leichter aufsteigen konnte. An Ramins hornigen Schuppen glitten seine Finger jedoch immer wieder ab, sodass er schließlich die eng anliegenden Flügel ergriff, um sich daran hochzuziehen. Aber als sich seine Füße vom Boden abstießen und schließlich sein ganzes Körpergewicht auf den empfindsamen Schwingen lastete, klappten diese unvermittelt auf und schnellten samt dem Jungen durch die Luft. Unsanft plumpste Gwendol zu Boden.
„Ich schaffe es nicht“, jammerte er, sich seine schmerzende Kehrseite reibend.
„Versuche es anders!“, riet Hojomor. „Benutze die Zacken auf Ramins Schwanz wie Treppenstufen!“
Ramin hielt das für einen guten Vorschlag. Er bemühte sich, die Fortsetzung seiner Wirbelsäule fest auf die Erde zu drücken. Zaghaft stieg Gwendol auf den ersten Zacken des Schwanzes, sank dort auf alle Viere und begann vorsichtig, an dem Kamm entlang empor zu klettern. Als der Knabe den höchsten Punkt erreicht hatte, setzte er sich dort in Reitermanier nieder und ließ seine Beine seitlich herunter hängen.
„Kann es los gehen?“ rief Ramin ein wenig ängstlich, woraufhin Gwendol stolz von seinem Aussichtsplatz befahl: „Flieg los, Drache!“
Er schien zu erwarten, dass sich das Tier mühelos in die Luft erheben würde. Doch zunächst richtete sich Ramin rumpelnd auf. Zuerst mit den vorderen Klauen, sodass sein Rücken für einen Moment eine
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